Der stumme Tod
arbeiten?«
»Sie haben doch schon Erfahrung darin, wie man unter erschwerten Bedingungen arbeitet.«
Dressler quälte sich ein Lächeln ins Gesicht. »Zu wem wollen Sie denn?«
»Victor Meisner.«
»Ist in seiner Garderobe, der hat seine Szenen für heute durch.« Rath nickte. »Machen Sie ruhig weiter, ich kenne den Weg.« »Sie können da aber nicht so einfach reinplatzen«, rief Dressler
ihm nach, aber Rath tat so, als habe er ihn nicht gehört, und ging hinter die Kulissen, vorbei an der großen Donnermaschine, die immer noch am alten Platz stand, zu der Tür mit Meisners Namensschildchen.
Rath klopfte und trat ein.
Victor Meisner wandte ihm den Rücken zu, er saß vor einem Spiegel und wischte sich gerade die Schminke von der Stirn. Der Schauspieler war kaum wiederzuerkennen. Das bleiche, zum Teil immer noch mit Schminke verschmierte Gesicht, das Rath im Spiegel sah, hatte mit dem der Leinwandhelden, die Victor Meisner verkörperte, nichts mehr zu tun. Noch weniger aber passte etwas anderes zum Bild des strahlenden Helden. Eine Entdeckung, die Rath sofort hellwach machte.
Die Glühlampen über dem Schminkplatz spiegelten sich in einer Halbglatze.
Dem Schauspieler war es sichtlich unangenehm, so gesehen zu werden. Schnell griff er zu einem Haarteil auf dem Schminktisch und setzte es notdürftig auf. Jetzt hatte er - ungefähr wenigstens die Frisur, die Rath an ihm kannte. Wie ein Held allerdings sah er immer noch nicht aus. Und klang auch nicht wie einer.
»Können Sie nicht warten, bis man Sie hereinbittet?«, fauchte er den Kommissar an.
»Sie tragen eine Perücke«, sagte Rath und versuchte, es beiläufig klingen zu lassen, »das wusste ich gar nicht.«
»Keine Perücke, nur ein Haarteil«, sagte Meisner. »Das weiß niemand. Ich warne Sie! Wenn ich davon irgendwann in der Presse lesen sollte, mache ich Sie persönlich dafür verantwortlich!« »Keine Angst. Ich kann schweigen.«
»Aber deswegen sind Sie wahrscheinlich nicht hier.«
»Nein.« Rath rückte sich einen Stuhl so zurecht, dass er Meisners Gesicht im Spiegel sehen konnte, und wickelte Kiries Leine um ein Stuhlbein. »Sie haben doch nichts dagegen, dass ich mich setze«, sagte er und holte Notizbuch und Bleistift aus seinem Mantel. »Ich habe noch ein paar Fragen an Sie.«
»Hätten Sie die nicht schon letzte Woche stellen können? Dann hätten wir's hinter uns!«
»Die Polizei stellt immer wieder neue Fragen, Herr Meisner, und sie stellt immer wieder die gleichen alten. Wir wissen, dass wir Leuten wie Ihnen damit auf die Nerven gehen, aber das ist unser Beruf.« »Schöner Beruf!«
Rath setzte den Stift aufs Papier. »Sie drehen schon wieder einen neuen Film«, sagte er. »Mit Eva Kröger, wie ich sehe. Den Tod Ihrer Frau scheinen Sie mittlerweile ganz gut verkraftet zu haben.«
»Das Leben geht weitet, Herr Kommissar! The show must go on, wie der Engländer sagt. Wenn Sie so viel zu tun haben wie ich, müssen Sie sich irgend wann wieder fangen. Donnerstag wird Betty beerdigt, glauben Sie mir, das wird schwer genug für mich.« Er tippte sich mit dem Zeigefinger auf die Brust. »Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wie es da drinnen aussieht?«
»Nein, aber die hätte ich gerne, diese Ahnung.«
Meisner schaute ihn misstrauisch an. »Was wollen Sie?«, fragte er. »Stellen Sie endlich Ihre Fragen und lassen mich in Frieden!« »Hat Ihre Frau Ihnen eigentlich viel vererbt?«
Meisner lachte ein abgehacktes, kurzes Lachen. »Sagen Sie bloß, Sie suchen nach einem Motiv. Also, die Erbschaft ist bestimmt keins! Betty hat mir nicht viel hinterlassen. Sie können gern mit dem Notar sprechen. Wenn Sie das für ein Mordmotiv gehalten haben: Da hätte Bellmann mehr Grund gehabt. Er hat Betty teuer versichern lassen, für ihn zahlt sich ihr Tod finanziell wirklich aus.«
Rath kritzelte ein Strichmännchen in sein Notizbuch.
»Eine andere Frage«, sagte er, während er noch malte, »woher kannte Ihre Frau eigentlich Yangtao?«
»Was bitte?«
»Yangtao.« Rath ließ das Strichmännchen vorerst unvollendet und schaute auf. »Chinesische Stachelbeere. Eine exotische Frucht.«
»Keine Ahnung. Wie kommen Sie darauf, dass Betty dieses Zeug kannte?«
»Wir haben es in ihrem Magen gefunden«, sagte er und strichelte seine Zeichnung weiter.
Meisner machte ein angewidertes Gesicht. »Meinen Sie nicht, dass Sie hier reichlich taktlos auftreten? Sie könnten ein bisschen mehr Rücksicht nehmen! Nur weil ich mich im Griff habe, heißt das nicht,
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