Der stumme Tod
machte sich selbst ein Bier auf.
Während der Hund fraß, schaute Rath sich das Toupet an. Verschmutzt und verfilzt, aber vielleicht ließ sich damit ja etwas anfangen. Etwas, was diesen arroganten Meisner aus seiner selbstgefälligen Selbstgewissheit reißen würde.
Das einzige Problem: Rath durfte eigentlich gar nicht im Besitz dieses Haarteils sein.
Aber vielleicht war er das ja auch gar nicht; vielleicht hatte jemand anders es gefunden, jemand, von dem die Polizei sowieso wusste, dass er am Funkturm gewesen war.
Rath nahm das Bier und die Aschinger-Tüte mit ins Wohnzimmer, machte es sich mit dem Telefon am Tisch bequem und biss schon mal von einer Bulette ab, nachdem er der Vermittlung die Nummer genannt hatte. Ausgerechnet in diesem Moment meldete sich Elisabeth Behnke am anderen Ende der Leitung, seine ehemalige Zimmerwirtin, die ihn seinerzeit sang- und klanglos wegen Charly vor die Tür gesetzt hatte.
»Merthold Meinert, bidde«, sagte Rath.
»Ist gerade zu Tisch«, sagte die Behnke, »wie Sie offensichtlich auch!«
Schlechte Manieren konnte sie auf den Tod nicht ausstehen. »Mur eimem kurfem Momemt«, mampfte Rath in den Hörer. Es klackte, und er hörte sie rufen: »Herr Weinert, einer Ihrer flegelhaften Kollegen.« Es dauerte nur einen kurzen Moment, dann wurde der Hörer wieder aufgenommen.
»Mein lieber Binding«, hörte er Weinert schimpfen, »so eilig ist die Sache doch nun auch wieder nicht, dass Sie mich beim Abendbrot stören müssen!«
»Sehr eilig«, sagte Rath, »der Reichskanzler hat im Reichstag auf die Regierungsbank gepinkelt, und wir brauchen das exklusiv!« »Gereon? Bist du das?«
»Pass auf mit meinem Vornamen! Der ist selten genug, dass die Behnke Lunte riechen könnte, mit wem du dauernd telefonierst. Und ihre schlechte Laune musst du dann ertragen.«
»Danke für die Warnung. Wo warst du am Sonnabend, verdammt noch mal? Jedenfalls nicht in diesem Dreieck. Und zu Hause auch nicht.«
»Ist etwas dazwischengekommen, entschuldige, habe versucht, dich noch anzurufen«, log Rath.
»Und ich versuche seit drei Tagen, dich anzurufen!«
»Melde dich im Präsidium besser nicht mehr namentlich. Der Name Berthold Weinert ist aktenkundig im Fall Krempin. Wenn die herausfinden, dass du mich kennst, kriegen wir Probleme.« »Schon gut. Aber zurück zu unserer geplatzten Verabredung: Ist die Perücke nicht mehr von Interesse für dich?«
»Doch, natürlich. Deswegen rufe ich an.« Rath schaute auf die Uhr. »Kann ich dir das Ding heute noch vorbeibringen und dir ein paar Takte dazu sagen?«
»Ich bin gleich auf einem Empfang des neuen Reichskanzlers.« »Dann morgen.«
»Morgen Abend, vorher geht's nicht. Ich hab Arbeit bis über beide Ohren. Und diesmal habe ich einen Preis für meine Gefälligkeit.«
»Der wäre?«
»Ich brauche das Auto.«
»Für Mittwochabend?« »Inklusive Donnerstagmorgen. «
»Komm vorbei und hol es dir ab. Zusammen mit der Perücke.« »Ich komm von der Kochstraße gleich zu dir. Um acht?« »Alles klar.«
»Wehe, du versetzt mich wieder.«
»Keine Angst, das passiert mir nicht noch einmal! Ehrenwort!
Sonst rede ich dich einen Monat lang nur noch mit Euer Hochwohlgeboren an.«
»Na, diesmal scheint es dir ja wirklich ernst zu sein.« Weinert lachte. »Da ist übrigens noch eine Sache. Ich wollte dich vorwarnen. Morgen erscheint etwas zu Krempin. Erstmals mit seinem Namen. War einfach nicht länger zurückzuhalten.«
»Hauptsache, mein Name kommt in dem Artikel nicht vor. Ganz gleich, wer dich fragt: Ich war nicht am Funkturm.«
»Sonntag schon.« Weinerts Stimme klang so, als würde er grinsen. »Gestern sind uns ein paar hübsche Fotos auf den Tisch geflattert, der millionste Besucher des Funkturms. Sieht dir durchaus ähnlich.
Und die hübsche Kleine da neben dir! Angeblich eine Filmschauspielerin. Scheint sich zu lohnen, in diesen Kreisen zu ermitteln.« »Wollt ihr das Bild etwa veröffentlichen?«
»Im Moment ist keine Saure-Gurken-Zeit, aber ich denke, so als netter Füller macht es sich gut. Und den anderen Zeitungen hat das Fremdenverkehrsamt die Pressemitteilung mitsamt Foto bestimmt auch geschickt. Der millionste Besucher. Eine bessere Werbung als der hundertste Selbstmörder.«
»Mach keine Witze, Berthold! Wenn dieses Bild in irgendeiner Zeitung erscheint, und einer von den Funkturm-Zeugen erkennt mich darauf, dann gute Nacht.«
»Nun mach dir mal nicht allzu große Sorgen, das Wahrscheinlichste ist eine nette kurze Textmeldung, ohne
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