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Der stumme Tod

Der stumme Tod

Titel: Der stumme Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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irgendeinen Hinweis auf ihren Aufenthalt. Gut möglich, dass sie sich aus dem Staub gemacht hatte. Und Czerny? Hielt der die Stellung, um irgendwann nachzukommen? Oder hatte sie ihn ebenso sitzen lassen wie ihren Gönner Oppenberg? Wenn die Geschichte stimmte, die der Portier erzählt hatte, war sie vor drei Wochen jedenfalls ohne ihn verreist. Oder er ohne sie.
    Denn Czerny selbst schien durchaus in den Bergen gewesen zu sein. Auf dem Wohnzimmertisch entdeckte Rath ein paar Prospekte, die für Erholung in den Schweizer Alpen warben, im Kleiderschrank hingen frisch gewaschene Skisachen, und schließlich fand Rath im Bad auch noch ein Handtuch mit aufgestickten Buchstaben. Hotel Schatzalp, Davos. Rudolf Czerny schien zu den Zeitgenossen zu gehören, die sich ihre Urlaubssouvenirs vornehmlich aus Hotelbeständen zusammensuchten.
    Rath schaute aus dem Fenster auf das weite Rund des Reichskanzlerplatzes und den Funkturm. Das Tageslicht ging schon unmerklich in die Dämmerung über, die ersten Leuchtreklamen flammten auf.
    Und dann beschloss er, einfach auf Rudi Czerny zu warten.
    Rath ging zum Telefon und ließ sich mit dem Präsidium verbinden. Er bekam Gräf direkt an die Strippe.
    »Wolltest du nicht um eins anrufen?«
    »Bin nicht dazu gekommen, hab alle Hände voll zu tun. Hat Böhm sich noch mal gemeldet?«
    »Einmal? Im Fünfminutentakt. Wahrscheinlich kommt er gleich rüber, weil die Leitung besetzt ist.«
    Rath räusperte sich. »Hör mal! Ich weiß, dass gleich Feierabend ist, aber du musst noch etwas Wichtiges erledigen.«
    »Hm.«
    »Gleich um fünf, da ist die Beerdigung von diesem Wessel. Böhms toter Nazi. Auf dem Nikolai-Friedhof.«
    »Ja?«
    »Geh hin und schau dir die Sache an.« »Was soll denn das?«
    »Hat Böhm uns aufs Auge gedrückt.«
    »Seit wann nimmst du dessen Befehle so genau?«
    »Einer von uns muss hingehen. Und ich komm hier noch nicht weg. Montagmorgen kann ich dir mehr erzählen.«
    »Zu Befehl, Chef.«
    Rath kam nicht mehr dazu, noch ein schönes Wochenende zu wünschen, Gräf hatte aufgelegt. Natürlich hatte Rath seinem Kriminalsekretär den Samstagabend versaut, aber er selbst hockte ja auch nicht zu seinem Vergnügen in einer wildfremden, kalten Wohnung am Reichskanzlerplatz.
    Beim Stichwort Vergnügen fiel ihm der Ball im Resi wieder ein, für den er immer noch kein Kostüm hatte. Er konnte sich nicht mehr drücken, diese Chance hatte er verstreichen lassen, jetzt musste er hin; Kathi hatte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um an Karten zu kommen. Rath ahnte, dass sie das nur getan hatte, um ihm einen Gefallen zu tun, aber das änderte nichts am Sachverhalt.
    Mit Kathi gemeinsam zum Ball zu gehen, das würde nicht mehr klappen, wenn Czerny nicht bald auftauchte. Aber danach war ihm ohnehin nicht. Er war eben im Einsatz, das würde sie schon verstehen. Wie sie immer alles verstand. Dann müsste er nur noch in einer halbwegs salonfähigen Verkleidung und nicht allzu spät im Resi aufkreuzen. Wie er dann mit Kathi umgehen sollte, wusste er noch nicht.
    Czerny erlöste ihn um kurz nach halb sechs. Rath saß in einem der gemütlichen Sessel, als er den Schlüssel im Schloss hörte. Er blieb sitzen, um dem Mann einen bühnenreifen Empfang zu bereiten. Rudolf Czerny war immerhin Schauspieler.
    Die Tür öffnete sich, das Licht im Flur leuchtete auf. Aus der Sicherheit des dämmrigen Wohnzimmers konnte Rath durch den kleinen Türspalt sehen, wie ein kleiner schlanker Mann einen karamellfarbenen Mantel und einen braunen Hut an die Garderobe hängte.
    Die Wohnzimmertür öffnete sich zur Gänze, und eine Hand drehte den Lichtschalter an. Nun saß Rath im Hellen. Er schaute Rudolf Czerny an, doch der hatte ihn immer noch nicht bemerkt, las in einem Drehbuch und tastete sich bis zur Bar vor. Vom Blitz getroffen las Rath auf dem Deckblatt.
    »Guten Abend, Herr Czerny.«
    Der Schauspieler zuckte zusammen.
    »Wie kommen Sie in meine Wohnung?« Das klang keineswegs eingeschüchtert, eher unterschwellig aggressiv. Der Mann wusste sich zu wehren. Rath musste aufpassen.
    »Durch die Tür«, sagte er und zeigte seinen Ausweis. »Keine Angst. Ich will Ihnen nur ein paar Fragen stellen.«
    »Und dazu müssen Sie mich erst zu Tode erschrecken? Gehört das jetzt zu Arbeit der Polizei, in fremde Wohnungen einzubrechen? Ich nenne so etwas Hausfriedensbruch!«
    »Es ist eigentlich nicht die Polizei, für die ich unterwegs bin«, sagte Rath. »In diesem Fall haben wir einen gemeinsamen Arbeitgeber ...

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