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Der stumme Tod

Der stumme Tod

Titel: Der stumme Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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kommen.«
    »Sie werden mich erkennen. Ich habe einen Polizeiausweis.« »Kommen Sie vorbei, weisen Sie sich aus, und dann schaue ich, was ich für Sie tun kann. Aber vorher nicht. Meinen Sie, wir hätten nicht genug zu tun?«
    Rath legte auf. »Sieht gut aus«, sagte er zu Czerny. »Ich denke, wir werden den Mann finden.«
    »Können Sie mich auf dem Laufenden halten? Ich meine, wenn Sie irgendetwas Neues von Vivian erfahren?«
    Rath nickte. »Mein größtes Problem heute Abend ist damit aber immer noch nicht gelöst«, sagte er. »Ich bin zu einem Ball eingeladen. Fasching. Haben Sie eine Ahnung, wo ich um diese Zeit noch ein Kostüm herbekomme?«
    Czerny schaute nur einen kurzen Moment überrascht, dann grinste er.
    »Klar weiß ich das«, sagte er. »Ich bin Schauspieler. Dann müssten wir aber noch mal raus nach Babelsberg. «

Kapitel 12
    Sieh an, der Hauptmann von Köpenick! Wollen Sie die Abendkasse konfiszieren?«
    Der Mann am Eingang war offensichtlich ein Witzbold. Vielleicht trug er deshalb zur bayrischen Lederhosentracht ein Matrosenhütchen.
    »Rath mein Name. Für mich müsste eine Karte hinterlegt sein.« »Zu Befehl!« Der Witzbold stand stramm und salutierte. »Schaust du mal nach, Lissy«, rief er dem Rauschgoldengel zu, der hinter der Kasse saß. Der Engel musste nicht lange suchen und reichte dem Bayern eine Eintrittskarte, der riss sie durch und gab einen Schnipsel an Rath weiter.
    »Sie sind spät dran«, sagte er. »Das weiß ich selbst.«
    »Sind aber noch genug Damen da.« Der Matrosenbayer zwinkerte.
    »Ich bin verabredet.«
    »Na dann sach ick nur: rin ins Vergnügen!«
    Die Luft im Saal war nikotingeschwängert. Durch den graublauen Dunst wanderten die dünnen Lichtstrahlen Dutzender rotierender Spiegelkugeln und ließen ihre Lichtflecken über Wände und Köpfe gleiten. Der Laden war brechend voll. Das Stimmengewirr übertönte fast die Musik. Sogar einen Sänger leistete man sich, der die jüngsten Stimmungsschlager zum Besten gab. Ein paar Gäste sangen mit, hatten sich eingehakt und schunkelten an ihren Tischen, die meisten aber, diesen Eindruck hatte Rath, hörten gar nicht hin. Sie waren mit Reden beschäftigt, mit Tanzen oder mit Küssen. Fantasievolle Kostüme sah er kaum; jede Menge Piraten liefen hier herum oder feurige Spanier, ein paar Matrosen, ein paar Cowboys und nur wenige Indianer. Die meisten hatten einfach nur ein buntes Hütchen aufgesetzt oder eine dezente Halbmaske. Die Frauen trugen vor allem eines: möglichst wenig.
    Rath kannte das Resi eher als leicht spießigen Eheanbahnungsschuppen, doch heute schienen die Spießer fest entschlossen, wilde Welt zu spielen.
    Er kam sich ziemlich alt vor, als er durch die Reihen schritt und seinen Tisch suchte. Die preußische Hauptmannsuniform, die er mit Rudolf Czernys Hilfe aus dem Babelsberger Kostümfundus ausgeliehen hatte, zwängte seinen Körper ein wie ein Korsett und machte jede seiner Bewegungen so steif, als habe er einen Spazierstock verschluckt. Überdies blieb er dauernd mit dem Säbel an den Beinen irgendwelcher Tische, Stühle oder Menschen hängen. Der Abend konnte ja heiter werden! Gut, dass er schon halb vorüber war. Fast halb elf.
    Er musste noch einmal auf seine Karte schauen. Tisch 28, da war er, direkt an der Bar. Allerdings saß Kathi nicht dort, eigentlich saß überhaupt niemand an Tisch 28 außer einem knutschenden Pärchen, das nichts mehr um sich herum wahrnahm. Rath überflog die Gestalten auf dem Tanzparkett, da herrschte ein unglaubliches Gewimmel, nicht allzu viel zu erkennen. Zwei Zigeunerinnen immerhin konnte er ausmachen, aber keine davon hatte Kathis Gesicht.
    Er setzte sich zu dem Knutschpärchen an den Tisch, das ihn überhaupt nicht zu bemerken schien. Irgendwann würde Kathi wohl hier auftauchen. Und dann hätte wenigstens auch er ein bisschen auf sie warten müssen, das half seinem schlechten Gewissen. Erst einmal erschien allerdings der Kellner. Rath ließ sich eine Flasche Mosel-Riesling und zwei Gläser bringen, das einzige alkoholische Getränk, auf das er sich mit Kathi einigen konnte. Das war ihm Silvester schon zum Verhängnis geworden. Als der Kellner den Wein brachte, war sie immer noch nicht aufgetaucht. Ob sie an einem anderen Tisch saß und ihn beobachtete? Gleich anrief oder eine Rohrpost schickte? Das alles konnte man nämlich tun hier im Resi. Ein Mekka für schüchterne Zeitgenossen und »für die, die es nötig haben«, wie Gräf es einmal formuliert hatte, nachdem sie

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