Der stumme Tod
Atelier verschwunden?
Es klingelte heiser, und Rath zuckte zusammen. Nicht die Türklingel.
Das Telefon!
Er ging hinüber, doch dann zögerte er und blieb einen Moment vor dem schwarzen Apparat stehen, der unbeeindruckt weiterrasselte. Bevor er nach dem Hörer griff, zog er sein Taschentuch aus dem Jackett. Fehlte noch, dass er auf dem Telefon eines Mordverdächtigen Fingerabdrücke hinterließ!
»Ja«, sagte er, so neutral wie möglich.
Am anderen Ende meldete sich niemand, doch Rath hörte es leise atmen.
»Wer ist da bitte?«, fragte er.
Keine Antwort. Weitere ein, zwei Sekunden hörte er nichts außer dem leisen Atem.
Klack. Aufgelegt. Seltsam.
Rath schaute sich weiter in der Wohnung um, fand aber nichts Auffälliges mehr. Zehn Minuten später saß er wieder im Auto. Mertens und Grabowski waren noch unterwegs, sie hatten nichts von seinem Ausflug bemerkt.
Wer hatte da vorhin angerufen? Im ersten Moment hatte Rath befürchtet, es könne vielleicht einer der Kollegen sein, die in seinem Auftrag nach Krempin fahndeten, aber die Fahnder wussten, dass die Wohnung beschattet wurde, es also sinnlos war, dort anzurufen. Ein Polizist hätte sich außerdem auch gemeldet. Nicht unbedingt gleich mit Namen und Dienstgrad, aber er hätte etwas gesagt. Um dem anderen irgendeine Äußerung zu entlocken. Wie Rath es selbst versucht hatte. Nur dass es offensichtlich nicht geklappt hatte.
Rath wurde langsam unruhig. Früher hatte er wenigstens noch rauchen können während der langweiligen Observierungsstunden in irgendwelchen Wohnungen oder Autos, aber Herr Rath hatte es sich ja unbedingt abgewöhnen müssen. Er meinte bei Grabowski eine Schachtel Muratti Forever gesehen zu haben, als der mit Mertens losmarschiert war.
Wo die beiden nur blieben! Rath schaute auf die Uhr. Waren nun fast eine halbe Stunde weg. Wurde Zeit, dass sie zurückkamen, schließlich hatte er noch zwei Adressen vor sich. Was die beiden natürlich nicht wissen konnten. Da sah er Grabowskis grauen Wintermantel im Rückspiegel auftauchen und stieg aus.
Kapitel 11
Das Apartment von Vivian Franck war noch moderner eingerichtet als Oppenbergs Büro. Drei Zimmer mit Dachgarten
hoch über dem Kaiserdamm. Ein riesiges Bett, das unter einer champagnerfarbenen Satindecke verschwand und von zwei Spiegeln ins Unendliche vervielfältigt wurde. Das geräumige Schlafzimmer war zweifellos der wichtigste Raum in dieser Wohnung, auch wenn Rath sich in dem vergleichsweise kleinen Wohnzimmer, durch dessen Panoramafenster man den Funkturm sehen konnte, deutlich wohler fühlte.
Die Möbel verrieten den Geschmack von Manfred Oppenberg, schlicht, modern, elegant - und teuer. Edle Hölzer, viel Leder, viel Chrom, keine Schnörkel. Es war offensichtlich, dass Vivian Franck diese Wohnung nicht selbst eingerichtet hatte. Und wahrscheinlich auch nicht selbst bezahlte. So viel konnte die Frau, die Manfred Oppenberg Engel nannte, mit ihren Filmen noch nicht verdient haben. Es sei denn, sie stammte aus reichem Hause; Rath hatte sie seinerzeit mit der verwöhnten Attitüde einer höheren Tochter kennengelernt. Eine gefallene Prinzessin, der Manfred Oppenberg einen Rest von Luxus bieten musste, um sie zu halten? Rath konnte sich nicht vorstellen, was eine lebensgierige junge Frau wie Vivian Franck sonst an einen alten Mann wie Oppenberg binden sollte außer vielleicht das Versprechen, sie auf der Leinwand unsterblich zu machen.
Die Wohnung vermittelte den Eindruck, als sei hier noch nie gelebt worden, sie wirkte so glatt und perfekt und arrangiert wie eine Filmkulisse, lediglich der große Glasaschenbecher auf dem niedrigen Wohnzimmertisch und die im Schrank integrierte, das heißt: dezent versteckte, Hausbar verrieten einen Hauch von Laster.
Kokain konnte Rath nirgends entdecken, obwohl er sämtliche Schubladen und Schränke durchsuchte. Er merkte, dass er fast gierig wurde bei dem Gedanken, irgendwo etwas von dem weißen Pulver zu finden, obwohl er sich nach den Erfahrungen damals geschworen hatte, die Finger davonzulassen. Er musste an Vivian Franck denken, an ihr gelangweiltes Gesicht, die toten Augen, die erst zu leuchten begannen, wenn sie etwas von dem Zeug genommen hatte.
Nein, dieses Apartment verriet - bis auf das Schlafzimmer nicht viel von den Gewohnheiten seiner Bewohnerin. Das Einzige, was Rath auffiel, waren einige leere Kleiderbügel im ansonsten gut gefüllten Kleiderschrank. Oppenberg hatte ihm schon gesagt, dass ein gutes Dutzend Kleider und auch zwei
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