Der stumme Tod
Nichtraucher! Scheiß auf Kathi! Als er den ersten Zug nahm, spürte er das Nikotin wie einen Hammerschlag, ein angenehmer, leicht schmerzender Schlag, eine Welle, die sich von der Lunge in seinem ganzen Körper ausbreitete. Fast fühlte er sich wie damals, er musste zwölf oder dreizehn gewesen sein, als er ein paar von Annos Zigaretten stibitzt und mit seinen Kumpels auf ihrem Baustellenversteck in Klettenberg geraucht hatte. Damals hatte er sich auch gut gefühlt. Allerdings nur am Anfang. Am Ende hatten sie alle vier an der Baugrube gehockt und gereihert wie die Weltmeister. Er musste schmunzeln, als er daran dachte, wie Paul, der es von ihnen allen noch am besten verkraftet hatte, ihm geholfen hatte, nach Hause zu kommen. »Frau Kriminalrat, ich glaube Gereon hat sich den Magen verdorben. Was gab's denn heute zu Mittag?« Das besorgte Gesicht seiner Mutter. Vater war nicht zu Hause, der hätte den Schwindel durchschaut. Den Nikotingeruch hatte er auf Pauls Empfehlung hin mit Sauerampfer bekämpft - was ihn gleich wieder hatte kotzen lassen.
Kaum zu glauben, dass er ein paar Jahre später dennoch mit dem Rauchen begonnen hatte, dem preußischen Militär sei Dank.
Vorsichtig zog Rath an seiner Zigarette, er musste sich tatsächlich erst wieder an das Rauchen gewöhnen. Aber er hatte ja Zeit, er würde sich jetzt schön volllaufen lassen, dabei ein wenig nachdenken, solange das noch ging, und sich am Ende von einem Taxi nach Hause bringen lassen. Die richtige Menge Alkohol würde die Dämonen schon vertreiben und ihn friedlich in den Schlaf schaukeln.
Er drückte die Zigarette aus und winkte den Barmann heran, bestellte einen Cognac und ließ die Weinflasche abräumen. Eigentlich ein ganz guter Tag, dachte er. Er war Böhm erfolgreich aus dem Weg gegangen und im Fall Winter einen großen Schritt weitergekommen. Wenn sie Krempin erst einmal hätten, und das war nur eine Frage der Zeit, würde sich alles aufklären. Und mit Oppenberg war er näher dran an Felix Krempin als die gesamte Fahndung. Eigentlich also lief es doch ganz gut.
Und wie es aussah, war er heute sogar Kathi losgeworden. Wenigstens für einen Abend.
Rath nahm einen Schluck von seinem Cognac und bestellte gleich noch einen. Der Barmann stellte ein neues Glas auf den Tresen, und im selben Augenblick klingelte etwas und ein Lämpchen leuchtete auf. In der Rohrpoststation 51 war etwas angekommen. Alle schauten neugierig auf das Päckchen, das der Barmann aus dem Fach genommen hatte. Rath interessierte es nicht, wer seiner Angebeteten hier Blumen oder Konfekt geschickt hatte, er griff zu seinem Glas und trank. Der Barmann las den Zettel an der Rohrpost und reichte Rath das kleine Päckchen.
»Hier, Herr Hauptmann. Für Sie.«
Dem Hauptmann wäre fast das Glas aus der Hand gefallen. Achselzuckend nahm Rath das Päckchen entgegen und las den Begleitzettel. Für den Hauptmann von Köpenick. War Kathi doch noch hier? Er schaute sich um. An Tisch 28 saß wieder das knutschende Pärchen, sonst niemand.
Er riss das Päckchen auf, neugierig beäugt von den anderen Kostümierten an der Bar. Eine hellgrüne Feder lag darin und ein Zettel. Rath schirmte den Text ab vor den neugierigen Augen links und rechts und las. Heute schon getanzt? Wenn der Herr Hauptmann mal ein Hühnchen rupfen möchte ...
»Woher kommt das?«, fragte er den Barmann.
Der zeigte zum anderen Ende der Bar. »Tisch zweiundfünfzig.« Rath schaute hinüber, doch er konnte kaum etwas erkennen in dem schummrigen Licht, viel zu viele Leute standen in seinem Blickfeld. Er steckte den Brief und die grüne Feder ein, nahm sein Cognacglas und ging zur Tanzfläche, auf der ein Betrieb herrschte wie nachmittags um fünf auf dem Potsdamer Platz.
Er sah es sofort. Da hüpfte tatsächlich ein hellgrünes Huhn mit kurzem Rock und Federboa über das Parkett. Ihr Po und ihre Beine waren gar nicht übel, dummerweise aber erinnerte neben dem Kostüm auch das Gesicht der Frau allzu sehr an Huhn. Rath versteckte sich schnell hinter einem der Pfeiler. Noch hatte das Tanzhuhn ihn nicht erspäht.
Den einen Cognac noch und dann nach Hause, sagte er sich, du hast hier nichts verloren. Hinter dem Pfeiler fühlte er sich halbwegs sicher und hatte weiter ein Auge auf das hüpfende Huhn mit der Vorliebe für königlich-preußische Offiziere, das wahrscheinlich darauf wartete, dass ein Hauptmann erschien und abklatschte. Dann stutzte er, weil er glaubte, ein Gesicht gesehen zu haben, das hier überhaupt nicht
Weitere Kostenlose Bücher