Der stumme Tod
darüber gesprochen hatten, dass Czerwinski regelmäßig ins Resi ging. Mit der Tischrohrpost tauschten besonders Vorsichtige sogar ihre Fotos aus, bevor sie sich auf den ersten Tanz einließen.
Der Kellner stellte die Gläser hin und schenkte ein. Rath hielt die flache Hand über Kathis Glas; der Kellner stellte die Flasche in einen Kühler und verschwand. Das knutschende Pärchen hatte inzwischen eine Pause eingelegt. Sie stand auf, strich ihr verknittertes Haremskostüm glatt und entfernte sich. Der Mann schaute ihr zufrieden grinsend nach und rückte das bunte Glitzerhütchen auf seinem Kopf gerade. Auch einer von denen, die es nötig haben, dachte Rath, als er in das lippenstiftverschmierte Gesicht sah, und prostete seinem Tischnachbarn zu.
Der griff nach einem schalen Bier und prostete zurück. »Wohlsein, Herr Hauptmann! Wann haben Sie denn unseren Tisch besetzt. Hab gar nicht gemerkt, dass ich erobert worden bin!«
Er lachte über seinen Witz, und Rath verzog das Gesicht zu einem schiefen Lächeln. »Gerade erst gekommen«, sagte er.
»Sie sind Optimist, was?« Der Mann zeigte auf das leere Glas. »Gleich schon die Köder bereitstellen ... «
»Ich bin verabredet«, sagte Rath. Der Kerl war ihm vom ersten Augenblick an unsympathisch. »Aber im Moment scheint hier am Tisch ja wenig los zu sein.«
»Da hätten Sie mal vor 'ner Stunde kommen sollen, da war Stimmung! Ein Pirat saß hier, der hat vielleicht Witze gerissen, sage ich Ihnen! Und eine Runde nach der anderen geschmissen. Und ein Zigeunermädel, das wurde von Glas zu Glas fideler, ein netter Käf ... «
»Ein Zigeunermädel?«
Der Mann stutzte und sah Rath an. Dann schien der Groschen zu fallen. »Ach verstehe, die Zigeunerin gehört zu Ihnen«, sagte er und lachte laut auf. »Nichts für ungut. Aber da sind Sie wohl ein bisschen spät dran.«
»Ich weiß«, sagte Rath.
»Zu spät, wenn ich das sagen darf. Ich fürchte, Ihre Zigeunerin sehen Sie heute nicht wieder. Ist vor einer halben Stunde ungefähr mit dem Piraten abgezogen. Zusammen mit einem anderen Pärchen. Wollten wohl anderswo einen draufmachen.«
Rath musste schlucken. Er hatte mit allem Möglichen gerechnet, aber nicht damit. Kathi hatte ihn sitzen lassen. Nannte man das so? Das war doch billig! Die Nachricht versetzte ihm einen Stich, trotz allem. In seiner dämlichen Uniform fühlte er sich deplatzierter als je zuvor.
»Na komm, Kumpel!« Sein Nachbar klopfte ihm jovial auf die Schulter. »Nimm's nicht so schwer. Sind genug Mädels hier. Und Tischtelefone.« Er lachte. »So hab ich meine auch kennengelernt. Schön, dass hier ein paar Plätze frei geworden sind, da ist wenigstens Platz für unsere Käfer.«
»Ich bin eigentlich gar kein Käfersammler«, sagte Rath.
»Schon gut, schon gut! Man nicht so norddeutsch, der Herr!« Zum Glück kam die Haremsdame zurück und zog ihren Galan auf die Tanzfläche. Rath hätte Glitzerhütchen am liebsten noch gefragt, wohin Kathi mit ihrer Begleitung gegangen war, aber dafür war es jetzt wohl zu spät, da hätte er den Mann nicht so anblaffen dürfen.
Er verspürte ohnehin wenig Lust ihr nachzulaufen. Sollte er Kathi auf diese Weise losgeworden sein - na schön! Wenn sie es so wollte! Trinken konnte er sowieso besser, wenn sie nicht dabei war. Sogar viel besser. Rath leerte sein Glas und stand auf, nahm die Weinflasche aus dem Kühler und ging an die Bar.
Als er einen freien Barhocker gefunden hatte, stellte er fest, dass es sogar an der Bar Tischtelefon und Rohrpost gab. Er schenkte sich noch ein Glas Wein ein und winkte das Zigarettenmädchen zu sich. »Eine Sechser Overstolz bitte.«
»Wir verkaufen hier nur Zehner.« »Auch gut. Und Feuer bitte.«
Flink fischten ihre Finger das Gesuchte aus dem Bauchladen. »Macht fünfzig Pfennige«, sagte sie.
Rath drückte ihr ein Markstück in die Hand. »Stimmt so«, sagte er. Als Dank erhielt er ein umwerfendes Lächeln, das ihn gleich wieder aufheiterte. Glitzerhütchen mochte ein Ekel sein, aber in einem hatte er recht: Es gab verdammt viele andere Frauen! Auch wenn die ihm im Moment alle gestohlen bleiben konnten. Er riss die Schachtel gleich auf und steckte sich eine Zigarette in den Mund. Er versuchte, das möglichst beiläufig zu tun, doch er merkte, dass vor Aufregung sogar seine Hände ein wenig zitterten. Auch als er das Streichholz anriss. Den ganzen Tag hatte er sich beherrscht, umso mehr genoss er jetzt seine Niederlage. Ja, er wollte wieder rauchen! Scheiß auf alle
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