Der stumme Tod
klemme ich mir unter den Arm, oder wie stellst du dir das vor?«
»Ist doch nur eine Station mit der Bahn für dich.«
Weinert lachte. »Ist vielleicht besser so. Die Behnke hat gerade so gute Laune, das will ich nicht aufs Spiel setzen, nur weil du zur Nürnberger Straße kommst.«
Der Drachen klopfte wieder, und Rath legte auf, öffnete die Tür mit einem Ruck und zeigte der Frau seine Marke. »Wissen Sie eigentlich, was es heißt, kriminalpolizeiliche Ermittlungen zu behindern?«, fuhr er sie ohne Vorwarnung an. »Ich könnte Sie mit auf die Wache nehmen!«
Sie zuckte merklich zurück. »Aber Herr Wachtmeister! Ich konnte doch nicht ahnen! Wenn Sie noch ein Gespräch führen müssen, bitte, bitte.«
Es klang so flehentlich, dass Rath beinah gelacht hätte. Aber er machte ein ernstes Gesicht und sagte: »Nun gut, wollen wir es dabei bewenden lassen. In Zukunft sollten Sie der Arbeit der Polizei jedoch mit etwas mehr Respekt begegnen.«
»Aber natürlich! Natürlich!« Die Frau drückte Regenschirm und Handtasche an ihren Körper und machte auf der Stelle kehrt, wahrscheinlich froh darüber, an einer Verhaftung noch so eben vorbeigekommen zu sein.
Kapitel 20
Weinert war pünktlich. Er stand vor dem U-Bahnhof Wittenbergplatz und war trotz der Menschenmassen nicht zu übersehen: Er war der Einzige mit Schreibmaschine unterm Arm. Die Passanten störten sich kein bisschen an dem doch etwas sonderbaren Anblick, manchmal glaubte Rath, dass selbst ein fünfbeiniger Drei-Meter-Mann, der über den Tauentzien flanierte, dem gestandenen Berliner nicht mehr als eine hochgezogene Augenbraue abfordern würde - vorausgesetzt, er bewegte sich schnell genug. Der einzige Menschenschlag, der den Berlinern in der Hektik ihrer Stadt sofort und unangenehm auffiel, war der des staunenden Provinzlers. Weil der viel zu langsam durch die Stadt trottete, dauernd stehen blieb, um irgendetwas anzuglotzen, und jede Sekunde Gefahr lief, dabei überfahren oder überrannt zu werden. Mit Neuankömmlingen ging diese Stadt unbarmherzig um, das hatte Rath am eigenen Leibe gespürt, entweder wurden sie nach ein paar Wochen verschlungen und dem großen Stadtorganismus einverleibt oder aber wieder ausgespuckt.
Rath drehte am Tauentzien, hielt an der roten Ampel am KaDeWe und hupte. Mindestens ein Dutzend Leute schaute sich um, Weinert erkannte das Auto und setzte sich in Bewegung.
Rath gab Gas, kaum hatte der Journalist sich auf den Beifahrersitz fallen lassen. »Hallo, mein Schatz«, sagte Weinert und strei-
chelte das Armaturenbrett, »ich hoffe, der Kerl hier behandelt dich gut.«
»Wenn ich das geahnt hätte! Dass ich eine Liebesbeziehung auseinanderreiße, wenn ich deinen Wagen kaufe ... «
»Wenn du wüsstest, wie viele Tränen ich schon geweint habe.« »Du scheinst den Autos treuer zu sein als den Frauen.«
»Mag sein.« Weinen zuckte die Achseln. »Andererseits: Eine Frau habe ich noch nie verkauft.«
Er lachte, Rath beließ es bei einem pflichtschuldigen, etwas schief geratenen Grinsen.
»Bereust du es?«, fragte der Kommissar. »Ich dachte, ich hätte dir einen Gefallen getan?«
Weinen hatte wenige Wochen vor Weihnachten viel Geld an der Börse verloren und kurz darauf seinen Redakteursposten. Rath hatte sich mit dem Auto des Unglücksraben selbst ein Weihnachtsgeschenk gemacht und dem Freund, der dringend Bargeld brauchte, damit aus der Patsche geholfen. Außerdem hatte er so einen Teil der fünftausend Mark ausgeben können, die er eines schönen Tages im Spätsommer in seinem Briefkasten gefunden hatte.
»Ich bin jedenfalls froh, dass du den Buick hast und ich ihn ab und zu mal wiedersehe.« Weinert hielt sich fest, als Rath die Kurve am Bülowbogen mit maximalem Tempo nahm. »Wozu brauchst du eigentlich die Schreibmaschine?«, fragte er nach einer Weile.
»Ich hab etwas Arbeit mit nach Hause genommen.«
»Ist es mal wieder so weit? Kannst du dich im Präsidium nicht blicken lassen?«
Weinert war heller, als er aussah. »Du arbeitest doch selber zu Hause«, sagte Rath.
»Ja, weil ich meinem Verleger zu teuer war. Jetzt liefere ich mehr Geschichten für weniger Geld, und er muss nicht einmal mehr Heizkosten für mich bezahlen.«
»Die Zeiten sind hart.«
»Wem sagst du das? Und deswegen hoffe ich, wir können unsere Zusammenarbeit wieder intensivieren.« Er zeigte hinter den Sitz, wo neben der Schreibmaschine zwei Filmdosen klapperten. »Gehört das zu deinem Fall?«
Rath nickte. »Beweismaterial. Der Tod der
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