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Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Johansson
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der Mitte unterbrochen waren, und standen wenige Augenblicke später hinter Ronnys altem Auto.
    Noch einmal musste der Belgier seine Geschichte erzählen. Ronny half als Dolmetscher, während ein Notarzt die Verletzungen des allzu hilfsbereiten Ausländers untersuchte, aber nicht viel fand. Ronny wusste, dass das medizinische Personal in einem solchen Fall immer auch dazu da war, einen möglicherweise erst mit Verspätung eintretenden Schock zu behandeln. Ein zweiter Polizeiwagen traf ein. Der Belgier musste genau erzählen, wo das angebliche Pannenfahrzeug und wo er gestanden hatte. Drei Polizisten untersuchten mit grellen Taschenlampen den Tatort. Zum Schluss musste Ronny noch einmal seine Personalien angeben. »Bitte, kommen Sie vorbei, wenn Sie einmal in Brüssel sind«, sagte der Belgier und reichte ihm eine Visitenkarte, »ich würde mich gern bedanken.« Dann stieg er in einen der Polizeiwagen.
    Ronny fuhr auf der Europastraße  4 noch ein Stück weiter nach Norden. In Markaryd bog er auf die kleine Landstraße nach Osby ab. Als er durch Visseltofta kam, fiel ihm die Leiche in der Scheune wieder ein, die er in der Aufregung um den geraubten Mercedes völlig vergessen hatte. Seltsam, was hier in letzter Zeit alles so los ist.

Zehn
    In Sibbarp, einem Weiler im Süden von Osby, hatte ein Schneepflug im vergangenen Winter einen Verteilerkasten der Elektrizitätswerke umgefahren. Das Blechding hatte am Wegrand gestanden. In der ganzen Umgebung war darauf für einen langen Tag der Strom ausgefallen. Dann war er notdürftig geflickt worden, mit einer Plastiktüte und Klebeband. Doch immer wieder gingen in Sibbarp die Lichter aus, bis die Leute ihrer Empörung in der Regionalzeitung Luft zu schaffen versuchten. Ronny Gustavsson hatte ein paar Betroffene gesprochen und fotografierte gerade im Frühlingsregen den zerbeulten, in eine Plastiktüte gehüllten und zugeklebten Kasten, als das Telefon klingelte.
    »Ronny, schön, dass du da bist. Hast du Zeit, heute Abend zum Essen zu kommen?«
    Seit dreißig Jahren kannte Ronny diese Stimme, diesen leisen, warmen Alt, der jedes Wort ein wenig deutlicher aussprach, als es notwendig gewesen wäre, so als müsse man stets mit Minderbemittelten rechnen, und ein wenig zu leise. Sie macht das, um Aufmerksamkeit zu erzwingen, dachte Ronny. Das leise Reden ist eine Herrschaftstechnik. Aber immer brachte ihn diese Stimme in Verlegenheit.
    »Ronny, was machst du gerade?«
    »Ich fotografiere einen Verteilerkasten der Elektrizitätswerke. Er ist kaputt, er wurde zu Schrott gefahren, vemutlich von einem Schneepflug. In Sibbarp droht jetzt ein Aufstand der Massen.«
    »Du spinnst. Du kommst heute Abend, um sieben?«
    Um kurz nach sechs Uhr stieg Ronny in seinen Toyota, fuhr über die Reichsstraße  23 nach Süden, bog bei Östanå nach Broby ab, verließ aber bald die große Straße und kurvte einen breiten Hügel hinauf, bevor der Weg wieder bergab führte, in ein breites Tal, in dem sich kleine Laubwälder mit Feldern und Wiesen abwechselten, während auf den Höhen ein dunkler, hoher Fichtenwald wuchs. Zwei gemauerte weiße Säulen standen am Wegrand, Ronny fuhr zwischen ihnen hindurch und eine lange, sanft ansteigende, von noch blattlosen Linden gesäumte Allee hinauf, an deren oberem Ende ein kleiner Gutshof lag: ein steinernes Haupthaus, zweistöckig, weiß, irgendwann im frühen neunzehnten Jahrhundert in klassizistischem Stil errichtet. Links und rechts je ein großer hölzerner Flügelbau, die ehemaligen Scheunen oder Ställe.
    Das war Lindesholm, der Hof Benigna Klints, der Frau, die Ronny seit seinem ersten Semester an der Universität Lund kannte, mit der er damals zusammen studiert, demonstriert und Vorlesungen gesprengt hatte und mit der er später nach Paris, an die Sorbonne, gegangen war – wo er in den Vorlesungen versank, während sie, neben dem Studium und bald auch stattdessen, mit einigem Erfolg als Fotomodell arbeitete, unter Umständen, die Ronny nicht zu durchschauen vermochte, schon weil sie ihn an dieser Sphäre nicht teilhaben ließ. So war Benigna: Nie gab sie viel von sich preis, und trotzdem schätzten die Menschen immer ihre Gesellschaft. Und nie war sie seine Freundin, geschweige denn seine Geliebte geworden, auch wenn sie sich zu jener Zeit so oft gesehen hatten und sosehr er es auch gewünscht hätte. Als er Paris verlassen musste, weil er kein Geld mehr hatte und ihm die schwedische Studienbehörde keines mehr leihen wollte, war sie in Frankreich

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