Der Sturm
Linien bestehendes Netz mit etlichen Knoten auf. Einige Knoten trugen den Namen von Metropolen, andere von unbekannten Orten.
»Wir haben den Angreifer zurückverfolgen können, nicht auf allen seinen Wegen, aber doch auf einigen. Es ist wie immer, der Angriff läuft über Hunderte von Servern, in vielen Ländern, aber ein paar Spuren kann man doch erkennen. Wir sind sicher, dass China nichts damit zu tun hat. Sicher sind wir aber auch, dass mindestens einer der Server, über die der Angriff kam, in den Niederlanden steht und ein anderer in Schweden. Das war übrigens in der Vergangenheit häufig so. Wenn es um die illegale Verbreitung von Musik und Filmen über die Datennetze ging, waren die Schweden eine Weltmacht – die Juristen merkten erst Jahre später, was da eigentlich los war. Die Pirate Bay war eben, so wie sie ursprünglich war, ein schwedisches Unternehmen.«
»Du musst es ja wissen, Johan, du hast ja dort gelernt.«
»Ja, klar, und das war gar nicht schlecht. Piraten sind gute Lehrer.«
»Ja, gut, wir wissen jetzt, der Angriff kam auch aus Schweden, und die Schweden können ihren Job. Aber wie machen wir unseren, wie blockieren wir sie und schützen unsere Kunden? Johan? Hast du Was?«
Johan wurde unsicher und sagte stockend: »Was das zweite Problem betrifft, da sehe ich keine Lösung.«
»Das ist ganz schlecht«, antwortete Richard. »Was wissen wir, was sind unsere Grundlagen? Selbstverständlich bedeutet es erst einmal mehr Sicherheit, von der eigenen Anlage im Keller überzugehen auf einen Dienstleister, ganz egal, ob der nun ›Wolke‹ heißt oder nicht.« Richard sprach leiernd, so als habe er diese Rede schon hundertmal gehalten. »Auch wenn die meisten glauben, dass die Regierung da hineinguckt. Aber je weiter das Zeug verteilt wird, desto entscheidender wird der Zugang. Man verlagert ja nur das Problem. Klar, es ist viel schwieriger, an jemanden heranzukommen, der physisch nicht sofort greifbar ist. Aber es gibt ihn, und es gibt Leute, die wissen, wie man an ihn herankommt. Dessen Macht ist dann viel größer als die eines jeden Administrators in einem System mit Client-Servern. Und dann kommen die Schweizer und versenken die letzte Sicherheits-Kopie in einem Berg, damit wir sie in hundert Jahren wiederfinden.«
»Und was lernen wir daraus? Nichts!«, sagte Johan frustriert. »Übrigens, du solltest mal mit Wilhelm af Sthen reden.«
»Das war dein Lehrmeister in Schweden, nicht wahr, your personal guru?«
»Wenn einer verstanden hat, was jetzt geschieht, mit den Datennetzen, dann ist er es. Er ist schon sechzig, vielleicht auch schon siebzig, aber er ist nicht totzukriegen. Er sitzt auf dem Land in seinem Schloss, in Südschweden. Er war eine der wichtigsten Figuren in der Piratenpartei, am Anfang, bevor sie zu einem gewöhnlichen Haufen wurde. Er ist so, wie soll ich das sagen, so überlegen, weil er in großen Mustern denkt und weil er das, was die Leute auf ihre verschwommene Weise wollen, in Worte fassen kann. Er hat eben politische Ideen. Es klingt manchmal ein bisschen komisch, wenn er etwa sagt, dass der technische Fortschritt nie stattgefunden hätte, wenn es im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert ein funktionierendes Urheberrecht gegeben hätte. Aber es ist immer etwas daran.«
»Ohne Datenschutz würde es uns jedenfalls nicht geben. Die Banken übrigens auch nicht.«
»Ja, ja, ich weiß, aber es würde uns auch nicht geben, wenn wir nicht wüssten, was wir tun. Und da verdanke ich Wilhelm af Sthen eine ganze Menge.«
»Na, dann lade deinen großen Meister doch mal ein, auf unsere Kosten.«
»Da kennst du ihn nicht. Er kommt nicht, auch wenn du ihm hunderttausend Dollar dafür gibst. Er geht mit dir vielleicht in die Kneipe, einen trinken, falls du ihn zufällig auf der Straße triffst. Oder auch drei, denn er trinkt gerne. Du kannst ihn nicht zwingen. Fahr du zu ihm, wenn du das nächste Mal in Europa bist. Du wirst es nicht bereuen, ich sag’s dir. Und er ist ein guter Gastgeber, du wirst sehen.«
Über den Bildschirm flammte eine Schrift: »News Alert« war da plötzlich zu lesen, »Bankaktien im freien Fall«, »Vertrauen in die Banken erschüttert«, und »Noch ein Selbstmord an der Wall Street«. Richard Grenier zog die Brauen zusammen. »Bis morgen früh wisst ihr, von welchem Server das kommt. Sonst gibt es den Laden hier nicht mehr.« Als er ging, schaute er noch einmal auf die Weltkarte mit ihren Linien und Knoten. »Warum, zum Teufel«, murmelte er beim
Weitere Kostenlose Bücher