Der Sturm
die Spuren von Bertil Cederblad gefunden. Der wiederum war mehrmals vernommen worden, ohne dass sich ein Verdacht ergeben hätte.
Siebzehn
»Was wollte der Mann in Schweden?« Es war schon die dritte Mail des Chefredakteurs, in der er dieselbe Frage stellte. Ronny Gustavsson fühlte sich haftbar gemacht, verantwortlich dafür, etwas zu wissen, das nicht einmal die Polizei wusste. »Warum starb er in diesem Loch? Irgendetwas wirst du schon zusammenkriegen. Rede mit Leuten, die ihn kannten.« Ronny begann, das Internet nach möglichen Antworten zu durchsuchen – die weniger seriösen Journale, die Blogs, die Kommentarfelder. Ein seltsamer Eifer ergriff ihn, ließ ihn Seite nach Seite anklicken, die Augen gerichtet auf die Wörter »Meier«, »Tod« und »Schweden«. Er ließ sich treiben, von Eintrag zu Eintrag, fand viele Notizen von Menschen, denen es offenbar genauso ging, und wenige Nachrichten, in denen irgendetwas Substantielles oder sogar Neues stand, und große Mengen Verschwörungstheorien.
Christian Meier sei auf der Flucht gewesen, lautete ein in Deutschland offenbar immer populärer werdendes Gerücht. In der Vergangenheit habe er so viele große Theorien in die Welt gesetzt, so viele weltumspannende Phantasien über die Macht der Netzwerke, die Zukunft der Roboter und die Allmacht der Gentechnik. Und immer habe es Informanten gegeben, Leute, die ein Interesse an diesen Ideen hatten. Die Menschen wollten doch daran verdienen, oder nicht? Oder wenigstens ihren Einfluss vergrößern? Diesen Leuten sei er doch gewiss etwas schuldig, sie verlangten doch nach Rendite! Was aber hatte es gegeben? Nichts, außer der nächsten großen Verschwörungstheorie. Kein Wunder, dass diesen Leuten irgendwann einmal der Geduldsfaden gerissen sei. Der große Zampano habe aber nicht liefern können. Vielleicht hatte er in New York seine Drahtzieher getroffen, und diese Leute hatten ihren Ertrag gefordert? Dann habe Christian Meier sich absetzen müssen, bloß weg aus Berlin, bloß weg aus New York, bloß weg aus der ganzen Welt, die für ihn ja nur aus Leuten bestanden haben muss, die von ihm etwas wollten. Bloß weg, irgendwohin, wo absolute Ruhe herrschte. Der Beweis? Dorthin, nach Visseltofta, in diese Gegend, von der man noch nie etwas gehört habe, könne man doch unmöglich freiwillig hinfahren.
Ronny las diese Einträge, er studierte die weitaus vorsichtigeren Spekulationen in den Zeitungen – auch sie waren voller Mutmaßungen über diese seltsame Reise in den Tod – und schrieb dann einen eher trockenen Artikel mit dem Titel »Deutsches Rätselraten«. Er passierte die Kontrolle des Chefredakteurs, ohne beanstandet zu werden. Die Sache aber ließ Ronny keine Ruhe. Eine diffuse Neugier trieb ihn weiter, in immer abgelegenere Blogs, in scheinbar immer absurdere Theorien – es gab Indizien, dass sich der deutsche Chefredakteur gelegentlich in Chatforen herumtrieb, in denen es offenbar vor allem um Kontakte zwischen älteren Männern und sehr jungen Frauen ging. Es war ja nur ein Gerücht, das wusste jeder, dass es in Schweden keine Prostitution gab, nur weil sie verboten war. Und hatte es in der Boulevardpresse nicht erst vor kurzem Berichte gegeben über angeblich junge schwedische Frauen, die tatsächlich selbst Männer waren und die anreisenden Freier dann in Fallen lockten, um ihnen das Geld und die Autos abzunehmen?
Ronny schwirrte der Kopf. Er setzte sich in seinen Toyota und fuhr hinaus nach Visseltofta, hinaus zu der Scheune, in der ein toter deutscher Chefredakteur gelegen hatte. Das Abendlicht lag auf dem Gehöft, wie es vermutlich schon viele Jahrzehnte auf ihm gelegen hatte. Aber es gab dort nichts zu sehen, außer dem, was ohnehin schon da war, und ein Mordfall schien da völlig fehl am Platz. Voller Unruhe stieg Ronny zurück in sein Auto und fuhr, ohne eigentlich zu wissen, was er tat, die Strecke zurück, die der Chefredakteur vermutlich genommen hatte, bevor sein Leben in dieser Scheune endete. Zurück nach Älmhult, zurück zu dieser Raststätte, zurück nach Hässleholm, zurück nach Malmö. Dieses Mal stand kein Belgier an der Straße, dem jemand das Auto geraubt hatte.
Es war fast Mitternacht, als Ronny am Ufer des Öresund stand und die Brücke betrachtete, die Schonen mit Dänemark verbindet. Die beiden gigantischen Pfeiler schienen den Himmel zu berühren. Er wäre noch über die Brücke gefahren, durch Seeland nach Gedser oder Rødby und dann weiter mit der Fähre bis nach
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