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Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Johansson
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herzogen, nicht gewachsen. Eine knappe halbe Stunde lang orientierte er sich an den Heckleuchten der ihm vorausfahrenden Autos, bis ihm die flackernden Signallichter mehrerer Polizeifahrzeuge auf der linken Straßenseite signalisierten, dass er sein Ziel erreicht hatte.
    Eine kleine Gruppe von Menschen stand unmittelbar vor der Skulptur, in Regenjacken und Kapuzen. Für einen Schirm wäre es zu windig gewesen. Sie guckten auf den Stuhl, der auf einem kleinen Hügel hoch aufragte, und immer wieder gingen die Blicke nach oben. Die Geräusche der in der Nässe vorbeifahrenden Autos waren so laut, dass man brüllen musste. Ronny trat hinzu und stellte sich vor: »Ich komme von Skåneposten.«
    »Deine Kollegen sind auch schon da«, sagte ein älterer Mann, den Ronny sofort für einen Polizisten hielt, und wies auf drei Gestalten, zwei Frauen und einen Mann, die sich in den Windschatten eines Passat-Kombis mit der Aufschrift »Smålands Tidning« geduckt hatten. »Sie wissen genauso viel wie wir.«
    Ronny schaute den Stuhl hinauf. Er war vielleicht zehn oder zwölf Meter hoch, die Sitzfläche fünf Meter über dem Erdboden. Man musste sportlich sein, um da hinaufzukommen. Eine Leiter war an das Möbel gelehnt, über die man die Sitzfläche erreichen konnte. Aber da hing niemand mehr.
    »Wo war er denn?«, fragte Ronny trotzdem weiter, und die Kälte in seiner Stimme überraschte ihn selbst.
    »An der Sprosse, da, unter der Sitzfläche«, antwortete der ältere Mann unwillig. »Er soll schon länger gehangen haben, denn er war schon steif, als sie ihn herunterholten. Aber bei dem Wetter hat ihn keiner gesehen, bis ein Schulbus mit Kindern vorbeikam. Der Fahrer hat uns dann verständigt, um halb zehn.«
    Die Sprosse: das waren mindestens vier Meter über dem Boden. Auffälliger hätte man sich in dieser Gegend nicht umbringen können. Oder, dachte Ronny, wer sich dahin hängt, will ein Zeichen geben, das man in ganz Schweden wahrnimmt. Er ging hinüber zu seinen Kollegen von den Zeitungen aus Småland. Er kannte sie vom Sehen, sie kannten ihn offensichtlich auch.
    »Hej Ronny«, sagte eine junge Frau von vielleicht dreißig Jahren mit kurzen, blonden Haaren, »hast du dich verlaufen? Was machst du in Småland?«
    »Du siehst nass aus«, antwortete Ronny.
    »Den Toten haben sie schon weggebracht. Sie versuchen es noch mit einer kriminaltechnischen Untersuchung. Aber was soll man bei diesem Wetter schon finden?«
    »Hat einer von euch ihn noch gesehen?«
    »Ja, Kalle«, die junge Frau wies auf den Mann neben ihr, »er war zuerst hier, ein paar Minuten nachdem die Meldung über den Polizeifunk kam. Ein junger Mann, sagt er, ganz gewöhnlich, mit einer Studentenmütze, die er sich über die Ohren gezogen hatte.«
    »Das war nicht schön«, sagte der als Kalle angesprochene Mann, der selbst kaum älter zu sein schien als der Tote, »und dann an so einem Tag, an dem die ganze Zukunft vor einem liegen soll.«
    »Liebeskummer, vielleicht«, sagte die junge Frau.
    »Weiß man schon, wer das ist?«, fragte Ronny.
    »Die Polizei wird etwas sagen, wenn die Angehörigen benachrichtigt sind, vorher nicht. Irgendwann heute Nachmittag, nehme ich an.«
    »Ruft ihr dann an?«, fragte Ronny. Die junge Frau nickte. Dann schwiegen alle.
    »Komische Stelle, sich aufzuhängen«, fuhr Ronny schließlich fort.
    »Vielleicht wollte er etwas demonstrieren«, sagte die junge Frau, »das gibt es ja manchmal, dass einer sich umbringt, um den Rest der Welt ins Unrecht zu setzen.«
    »Mmh. Und was ist mit den Kindern?«
    »Welchen Kindern?«
    »Die im Schulbus saßen. Die ihn gesehen haben.«
    »Der Busfahrer war hier, als ich kam«, sagte Kalle, »er hat wohl die Kinder erst weggebracht und ist dann zurückgekommen. So wie er die Geschichte erzählt, waren die Kinder nicht besonders beeindruckt. Eher neugierig, so auf die Art: Guck mal, da hängt einer.«
    Die junge blonde Kollegin hatte ein raues, hässliches Lachen, fand Ronny. Er ging ein paar Schritte zurück und holte seine verschrammte Panasonic heraus. In Visseltofta hatte er gelernt, dass für die Zeitung zur Not auch ein Bild von den blauweißen Kunststoffbändern genügte, mit denen die Polizei einen Tatort absperrt. Er macht ein paar Bilder, die einen übergroßen Stuhl bei schlechtem Wetter zeigten, mitsamt Kunstoffbändern. Dann stieg er in den Toyota und fuhr in den Ortskern von Älmhult. In einer Stunde, dachte er sich, werde er bei der Polizeistation anrufen und nach den Umständen des

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