Der Sturm
war in Ordnung. Und in der Regel reichte die Zeit, um das Wall Street Journal und den Lokalteil der New York Times durchzublättern. Heute morgen aber war Richard unruhig. Sofort nach seiner Ankunft schaute er auf die Uhr und bestellte dann einen Cappuccino. Einen Augenblick später trat Johan herein, die Fahrradklammern noch an den Hosenbeinen, sah seinen Chef und setzte sich zu ihm an einen freien Tisch am Fenster.
»Johan, deine Schweden gehen mir auf die Nerven.«
»Du hast manchmal eine sehr freundliche Art, ›guten Tag‹ zu sagen.«
»Ach, komm, was hast du über den Tod dieses deutschen Journalisten herausgefunden?«
»Seine Leiche wurde Ende April in einer Scheune in Südschweden gefunden, auf einem Hof, der offenbar seit Jahren nicht mehr bewohnt ist. Sie konnten ihn lange nicht identifizieren, was wohl auch daran lag, dass ihn keiner in dieser Gegend vermutet hatte.«
»Und wie wurde er schließlich identifiziert?«
»Irgendwie wurde dann in der Nähe der Leiche sein Hausschlüssel gefunden. Frag mich nicht wie. Oder warum er nicht früher gefunden wurde. Die schwedische Polizei ist manchmal nicht sehr hell.«
»Und man weiß nicht, wer der Mörder war?«
»Nein.«
»Irgendwelche Vermutungen?«
»Jede Menge Verschwörungstheorien, eine Verabredung zum Sex, die schiefging, eine Racheaktion von ehemaligen Informanten oder von Leuten, die er schlecht behandelt hatte. Die Polizei glaubt an einen Raubmord von irgendwelchen russischen Autodieben. Sein Auto ist verschwunden. Trotzdem nichts, worauf man irgendetwas geben könnte.«
»Wo genau liegt der Ort, wo man ihn gefunden hat?«
»An der Grenze zwischen Schonen und Småland, aber das wird dir nichts sagen. Ungefähr hundertfünfzig Meilen nordöstlich von Kopenhagen.«
»Ist das nicht dieselbe Gegend, wo dein Guru lebt? Dieser Wilhelm?«
»Nicht wirklich. Es liegen ungefähr fünfzig Meilen dazwischen. Das ist viel in Europa, sogar in Schweden.«
»Johan, ich möchte, dass du so viel über diesen Journalisten herausfindest, wie du kannst. Kannst du Deutsch lesen?«
»Zur Not, ja.«
»Morgen früh erstattest du mir Bericht, hier.«
»In Ordnung.« Johan trank seinen Espresso aus, Richard zahlte und zog sich seine Jacke an.
»Richard, kommst du nicht mit hoch?«
»Ich komme nach. Ich muss mich noch mit der Inneneinrichterin treffen. Sie will mir jetzt ein echt skandinavisches Gemälde verkaufen. Sie sagt, ich müsse meine Einrichtung jetzt noch einmal auf ein anderes ästhetisches Niveau heben. Genau so hat sie es formuliert: ›ein anderes ästhetisches Niveau‹. Dafür bräuchte ich ein Bild. Diese Frau ist ein ziemlich gerissenes Ding.«
»Was für ein Bild?«
»Ein großes Ölgemälde von einem verrückten Dänen. Er heißt Asgar John oder so ähnlich.«
»Asgar Jorn? Ehrlich? Das ist der teuerste dänische Künstler, den es je gegeben hat. Und das kannst du dir leisten? So etwas hängt im Mo MA , falls es auf diesem Kontinent überhaupt so etwas gibt. Das war ein Kommunist, der Amerika hasste und von seinen Honoraren eine ganze Bande von verhinderten Revolutionären bezahlte, vor allem in Frankreich. Die lebten da in Kommunen. Und den sollst du kaufen?« Johan war ehrlich verblüfft. Offenbar hatte er seinem Chef so viel Vermögen nicht zugetraut.
»Das findet jedenfalls diese Frau Andersen oder wie sie auch immer heißt.«
»Und was meinst du?«
»Ich finde die Idee eigentlich ganz sympathisch. Das mit dem Kommunisten hat sie mir auch erzählt. Offenbar ist er deswegen ganz besonders teuer.«
Vierundzwanzig
Ronny Gustavsson stand am Fenster seiner Wohnung in Osby und schaute hinaus in den peitschenden Regen. Gestern Abend hatte er noch bei seiner Mutter auf der Terrasse gesessen, und sie hatten über seinen Vater gesprochen, diesen dicken, gemütlichen Lehrer, der jeden Tag seinen Cognac brauchte und eine ganze Schachtel Chesterfield. Die Mutter hatte das gemeinsame Abendessen, ein »Biff à la Lindström«, einen Hackbraten mit Kapern, mit der linken Hand gekocht, weil die rechte noch verbunden war. Heute früh, im ersten Morgengrauen, hatte es angefangen zu stürmen, so, als wäre es jetzt nicht Frühling, sondern tiefster, bitterer Herbst. Alles, was da draußen geblüht hatte, der Flieder, die Narzissen, die Tulpen, wird jetzt zerschlagen am Boden liegen, dachte er, so viel Wasser, wie da herunterkommt. Und dann der kalte Wind. In der Ferne hörte er eine Basstrommel schlagen, mit ihrem tiefen »dunk«, »dunk«,
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