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Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Johansson
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nicht.«
    »Nein, wohl eher nicht.«
    »Von wegen Aristokratie: Ich soll dich von Benigna grüßen. Und ich soll dir eine Einladung überbringen: Sie hat Wilhelm af Sthen, einem Bekannten von ihr, von dir erzählt.«
    »Warte, ich weiß, wer das ist: einer der Wortführer der Anarchisten im Internet. Und den kennt sie?« Lorenz rief den Kellner herbei, um zu zahlen. Endlich Luft, dachte Ronny, nur hinaus ins Freie.
    »Selbstverständlich, vermutlich haben sich die Ahnen der beiden seit fünfhundert Jahren gegenseitig die Köpfe eingeschlagen. Er wohnt ein Stück weiter südlich, in der Nähe von Kristianstad, wenn du weißt, wo das ist, an der Ostseeküste. Dort veranstaltet er einmal im Jahr eine Art Konferenz auf seinem Gut, mit sorgfältig ausgewählten Gästen, Menschen aus der ganzen Welt, aber nie mehr als fünfzig oder sechzig Leute. Immer geht es dabei um Informationstechnik, aus irgendeinem Blickwinkel. Bill Gates war auch einmal da, vor zehn Jahren, und Mark Zuckerberg auch, ich glaube, es war vor drei Jahren. Jedenfalls lädt er dich dazu ein, für irgendwann im September.«
    Lorenz und Ronny traten hinaus auf den Viktoria-Luise-Platz, der in frühsommerlicher Milde vor ihnen lag. Ronny atmete tief durch. Die ersten Linden blühten, am Brunnen saßen ein paar Jugendliche und sprachen still miteinander, die großen, mit Erkern und Ornamenten versehenen Häuser aus der Gründerzeit, die diesen Platz zu einem der schönsten von Berlin machten, standen wie Wächter im Kreis um die beiden herum. Ronny war müde. Zwei Tage war er durch Berlin gegangen und gefahren, meist allein. Er hatte die neue Mitte gesehen und das alte Schöneberg, er war im Pergamonmuseum gewesen und im Kaufhaus des Westens. Er hatte sich sogar überlegt, wie es wäre, nach Berlin zu ziehen und hier, ganz bescheiden, ein anderes Leben anzufangen. Irgendeine Arbeit würde es wohl geben, als Übersetzer zum Beispiel, oder in einem Computerladen. Da könnte er den Leuten dann helfen, ihre Geräte einzurichten.
    Der tote Chefredakteur war ihm nahegerückt, fast so, als hätte er ihn im Leben gut gekannt: einen schlauen Spontaneisten, den es auf die falsche Seite verschlagen hatte. Und war er, Ronny, der Provinzreporter, nicht der Einzige gewesen, der ihn, abgesehen vom Mörder, lebend und tot gesehen hatte? So gesehen, hatte die Geschichte entschieden mit ihm persönlich zu tun.
    In Berlin hatte Ronny einen alten Freund getroffen und, erstaunt, erfahren, dass dieser noch immer ein Freund war. Sie hatten über Bücher gesprochen, über ihre Lehrer und voreinander ihr technisches Wissen über Computer und das Internet ausgebreitet – immer wieder war Ronny erstaunt darüber, wie viel digitale Datentechnik Lorenz beherrschte, viel mehr als er und bis hinein in die Abgründe des Programmierens. Lorenz konnte sich in Linux frei bewegen, und er beherrschte offenbar, was Ronny grenzenlos bewunderte, die Programmiersprache »C«.
    Ein letztes Mal öffnete Ronny im kargen Gästezimmer des Freundes sein Notebook. Nur eine Mail war gekommen: »Indem ich von der schrankenlosen Freiheit ausgehe, schließe ich mit dem schrankenlosen Despotismus. Ich behaupte, dass es außer meiner Lösung der gesellschaftlichen Formel keine andere geben kann«, stand darin. Mehr nicht. Der Absender war Wilhelm af Sthen.
    Ronny kannte den Satz. Er wusste, dass er zu Schigalew gehört, einem der Verschwörer in Fjodor Dostojewskijs ›Böse Geister‹, dem Theoretiker eines autoritären Sozialismus. Aber wie kam Wilhelm af Sthen dazu, Zitate aus der Weltliteratur durch die Gegend zu schicken? Und ausgerechnet ihm? Beunruhigt ging er zu Bett und konnte lange nicht einschlafen. Am Morgen darauf fuhr er mit dem ICE über Hamburg nach Kopenhagen. Dort stieg er in den Zug über den Öresund um und war um halb zehn Uhr abends wieder in Osby. Hätte er mit dem Auto fahren können, wäre es ihm lieber gewesen. Er wäre dann dieselbe Strecke gefahren, die der Chefredakteur vor ein paar Wochen genommen hatte.

Dreiundzwanzig
    Es war kurz nach acht Uhr morgens. Das Doma-Café in der Perry Street hatte gerade geöffnet, als Richard Grenier eintrat. Es roch nach Backwerk und nach frisch gebrautem Kaffee. Das kleine Lokal mit weiß getünchten Ziegelwänden, kleinen dunklen Tischen und französischen Kaffeehausstühlen lag nur ein paar Schritte von seiner Wohnung entfernt, und er ging gern hierhin, um in der Frühe einen Toast mit Cream Cheese und Früchten zu essen, und der Caffè Latte

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