Der Sturm
sie weiß es nicht. Benigna wollte nicht, dass sie es erfährt. Sie hat ihren Stolz, irgendwie. Katarina wird eines Tages Ekeby Gård erben. Wenn sie will. Ich hoffe es jedenfalls.«
»Wille, das ist doch nicht dein Ernst. Was habe ich mit deiner Familie zu tun? Oder mit deren Geschichte?«
»Mach’s nicht für mich, mach’s für die beiden. Mach’s für Benigna. Es war gemein von mir, was ich vorgestern sagte, sehr gemein, ich weiß. Aber du liebst sie, und sie hat dich wenigstens gern. Tu’s für sie.« Wilhelm hatte die Hände auf den Tisch gelegt, geöffnet und nach vorn gestreckt. Beinahe flehend schaute er nun Ronny an, und beinahe hätte Ronny diese Hände ergriffen.
»Wille, was hast du mit dem toten Deutschen zu tun?«
Im Bruchteil einer Sekunde war die Vertraulichkeit verschwunden: »Wie kommst du darauf?«
»Du kanntest ihn. Du kommst in seinem Manuskript vor. Er war bei dir, das weiß ich, das steht im Manuskript. Er meinte, etwas bei dir entdeckt zu haben, etwas Geheimes. Und das Auto, es wurde nicht weit von dir gefunden.«
Wilhelm schwieg lange. »Vermutlich waren viele Leute sehr erleichtert, als er endlich weg war.«
»Du hast doch mit dem Amerikaner unter einer Decke gesteckt. Und er hat das herausbekommen.«
»Hübsche Ideen hast du.«
»Komm, die Polizei kennt das Manuskript auch. Was war da, hat der Deutsche versucht, dich zu erpressen?«
Wilhelm zögerte. »Wenn da etwas war, solltest du es besser nicht wissen, in deinem eigenen Interesse«, sagte er dann langsam. »Komm, ich muss jetzt weiter. Der Tag wird unerfreulich werden.« Wilhelm winkte in Richtung der Bedienung, die hinter ihrem Tresen verschwunden war.
In diesem Augenblick klingelte Ronnys Mobiltelefon. Es war nicht die Redaktion, das sah er sofort: Die Nummer war unterdrückt.
»Wille, das ist wohl die Redaktion.« Ronny stand auf, nahm sein Telefon und ging nach draußen. Das Kreischen der Motorsägen im Wald hinter dem Diner machte ein Gespräch fast unmöglich. Ronny hatte große Mühe, den Anrufer zu verstehen.
»Pelle?«
»Es ist noch nicht neun Uhr, ich weiß. Aber sag: steckst du in der Klemme?«
Ronny musste lachen: Pelle Larsson machte sich Sorgen um ihn.
»Danke, Pelle, ich lebe noch. Ich erklär’s dir später. Aber es ist so weit alles in Ordnung.«
Er hatte den Satz kaum ausgesprochen, als hinter dem Diner jemand grell aufschrie. Ronny sah, wie eine gigantische Fichte nach vorne fiel, in Richtung Straße, dabei auf eine alte Eiche schlug und ihr einen der größten Äste abschlug. Dann krachte der Ast herunter und – jetzt brüllte auch Ronny – schlug mit einem furchtbaren Getöse in die Imbissbude. Ronny sah, wie die Äste nach dem Aufprall auf und nieder federten. Das Schreien hielt noch ein paar Sekunden an. Dann war es still, völlig still.
»Was ist los, Ronny?«, plärrte das Telefon, »Ronny, sag doch, ist etwas passiert?«
»Pelle, ein Unglück, ein großes Unglück.« Ronnys Stimme überschlug sich, als er ins Telefon brüllte. »Sag deinen Leuten, sie sollen einen Unfallwagen herschicken, nein, gleich mehrere, an die Straße von Älmhult nach Växjö, zu dieser Imbissbude, mit der dicken Blonden, du kennst sie ja, mach schnell, schnell!«
Achtundvierzig
Zwei Stunden später stand Ronny Gustavsson noch immer vor den Trümmern des Schuppens, der einmal »Moondance« geheißen hatte. So riesig war der Ast, der hier eingeschlagen hatte, dass vom Gebäude selber kaum noch etwas zu sehen war – obwohl die Waldarbeiter die kleineren Zweige abgesägt und das Innere des Gebäudes freigelegt hatten. Die Männer hatten sich jetzt vor ihrem Kranfahrzeug versammelt, schauten zu Boden, rauchten und schwiegen. Einer von ihnen, dachte Ronny, musste den verhängnisvollen Schnitt ausgeführt haben, der den Baum dann in die falsche Richtung kippen ließ – eine Arbeit, die, so viel wusste Ronny aus der Erfahrung der vergangenen Tage, eigentlich nur von Maschinen und unter großen Sicherheitsvorkehrungen ausgeführt werden durfte. Weiter hinten, zwischen zwei Polizeiwagen, telefonierten ein paar Polizisten. Unmittelbar neben Ronny stand Pelle Larsson.
»War er bei Bewusstsein, als sie ihn da herausholten?«
»Ja. Er sah auch fast unversehrt aus.«
»Hat er etwas gesagt?«
»Das Reden fiel ihm schwer. Er hatte große Schmerzen, glaube ich. Ich solle auf Benigna aufpassen, sagte er, und auf Katarina.«
»Klint?«
»Ja. Kennst du sie?«
»Nicht direkt. Irgendwie gehören sie zu seinen
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