Der Sturm
Es entsteht das universale Verbrechen.«
In die weiteren handschriftlichen Aufzeichnungen brachte Ronny weniger Sinn, jedenfalls bei den ersten Versuchen. »Grenier schützt vor einer Gefahr, die er selbst erschafft«, stand da, und dann folgten lauter Kalenderdaten. »Sthen – will das Bankwesen erschüttern, aus politischen Gründen, der moderne Wiedergänger eines anarchistischen Attentäters«, »die Vereinbarkeit von Politik und Verbrechen …« Und so ging es fort, über viele Seiten, auf denen immer nur ein paar Zeilen zu entziffern waren und die dann in einem fast unleserlichen Text untergingen.
Es war spät geworden, nach elf Uhr abends. Ronny war so aufgewühlt, dass er dennoch Pelle anrief. Er nahm sofort ab.
»Pelle, das ist zu groß für mich.«
»Meinst du das Manuskript?«
»Ja, ich habe versucht, es zu lesen. Es geht nicht immer, und bei den handschriftlichen Teilen kann man das meiste gar nicht entziffern. Ich kann es jedenfalls nicht. Aber was ich da lese, ist unheimlich. Wenn das stimmt, was in diesem Manuskript steht, dann gab es eine Art Zusammenarbeit zwischen diesem Amerikaner und Wilhelm af Sthen. Es gibt sie möglicherweise immer noch. Irgendwie ging es ihnen darum, wie man Krisen im Bankwesen auslöst. Ihr werdet zu Wilhelm gehen müssen, schnell, und dann könnt ihr nicht einfach wieder wegfahren, so wie gestern, als er so betrunken war.«
»Woher weißt du, dass wir da gewesen sind?«
»Egal«, fuhr Pelle fort, »aber du hast recht: Unsere Experten haben das auch gelesen und wahrscheinlich genauso interpretiert wie du. Heute Morgen kam die Nachricht, dass die Reichskriminalpolizei den Fall übernimmt. Das geschieht immer, wenn es um organisiertes Verbrechen geht. Ich bin jetzt nur noch Hilfspolizist und darf zuliefern.«
»Sei froh, wenn das so ist. Macht ihr jetzt eine Hausdurchsuchung?«
»Das kann ich dir nicht sagen. Du kannst ja selber denken.«
Ronny hatte sich angewöhnt, mit seiner Dylan-Sammlung so umzugehen wie die Frommen früherer Tage mit der Bibel: Sie schlugen sie irgendwo auf, fuhren, ohne hinzuschauen, mit dem Finger auf einen Punkt auf der Seite. Was immer dort stand, galt als die Losung des Tages: Das nannte sich »Bibelstechen«. Ronny hatte auf der Titelliste, die ihm der Computer zur Verfügung stellte, einen Song aus dem Jahr 1979 angetippt. »Trouble in Mind« hieß das Lied, und es enthält die Verse: »The truth is far from you, so you know you got to lie.« »Jetzt weiß ich wenigstens«, dachte Ronny, »woran ich bin.«
Sechsundvierzig
»Dick, ist die Sendung gekommen?«
»Du meinst die Hosts?«
»Ja.«
»Heute Morgen. Wir haben kurz in die Kiste geschaut. Es sind so ungefähr hundert Stück. Was sind das für Platten? Was sollen wir damit machen?«
»Bring sie zum Laufen, in der originalen Konfiguration. Und wenn sie laufen, richte mir einen absolut exklusiven Zugang ein, so, dass kein anderer drankommt.«
»Soll ich ein Backup machen?«
»Nein. Häng sie ins Netz und halte dich da raus. Wehe dir, wenn irgendein anderer einen Zugang bekommt.
»Gut, ich habe verstanden.«
»Kannst du mich mit Johan verbinden?« »Sofort.«
»Richard?« Johan war jetzt am Apparat.
»Ja.«
»Warum verschickst du Festplatten? Das ist ja wie vor zehn Jahren. Oder schlimmer. Das sind doch keine Bananen. Warum benutzt du nicht die Cloud?«
»Das geht dich nichts an. Dick kümmert sich darum. Misch dich da nicht ein.«
»Bist du immer noch in Schweden?«
»Ja.«
»Was machst du da? Wann kommst du zurück? Wir haben hier haufenweise Arbeit.«
»Es ist wichtig. Ich erkläre es, wenn ich wieder zurück bin.«
»Wann kommst du zurück?«
»Zwei, drei Tage werde ich noch brauchen. Es gibt hier … ein paar ernste Probleme, und ich kann nicht weg, bevor sie gelöst sind.«
»Was für Probleme?«
»Das kann ich dir nicht sagen.«
»Wirklich?«
»Es geht nicht anders. Du kannst Sally sagen, sie soll für Montag buchen. Ich rufe spätestens am Freitag wieder an.«
Siebenundvierzig
Es war ein paar Minuten nach sechs Uhr morgens, als Ronny Gustavssons Telefon klingelte. So tief hatte er geschlafen, dass er das Läuten in einen Traum eingeschlossen hatte, bevor er merkte, dass das Mobiltelefon auf dem Tisch summte. Benommen griff er danach und drückte auf den grünen Knopf.
»Ronny, ich weiß, dass ich dich wecke. Ich muss mit dir reden.«
»Wille!«
»Es tut mit leid, was vorgestern passiert ist. Ich habe mich schlecht benommen. Ich wollte euch nicht
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