Der Sturm
letzten Moment zum Stehen gebracht hatte.
»Wo ist diese blöde Security?«, hörte er Rose sagen.
»Vermutlich sitzen die Jungs keine zwanzig Meter von uns entfernt in ihrem blöden Security-Büro neben der Empfangs-halle. Und statt auf ihre Monitore zu schauen, betrinken sie sich«, meinte Benjamin. Er hatte inzwischen wieder die Kamera herausgeholt und filmte ungeachtet ihrer Lage.
»Mir ist so kalt, Rose! Ich spüre meine Füße nicht mehr.« Debbies Stimme schien mit dem Rauschen der Ahornbäume zu verschmelzen, die im Herbst den Weg hinunter zum See entlang gepflanzt worden waren. Der Sturm hatte auf einen Schlag das rote Herbstlaub von ihnen geweht.
Und Rose’ Antwort: »Kein Wunder! Wie konntest du auch bei diesem Wetter nur solche Schuhe anziehen?«
»Ich will nicht erfrieren. Ich will nicht hier draußen sterben. Es soll ein grässlicher Tod sein.«
»Du wirst nicht erfrieren!«
Debbie riss die Augen auf und starrte hinunter auf den See. »Seht ihr das auch?«
Sie streckte den Arm in Richtung See und der Anblick erinnerte Chris an die dürren Äste der Bäume. Sie stachen ebenso verzweifelt in die graue Luft wie Debbies Arme.
Nun starrten alle wie gebannt hinaus auf den See.
»Was ist das?«, murmelte Julia.
»Keine Ahnung«, erwiderte Benjamin. Er riss die Kamera hoch und starrte fasziniert durch das Objektiv. »Aber es ist das Absurdeste, was ich je gesehen habe.«
Auch Chris fragte sich, was dort draußen vor sich ging. Fast schien es, als hätte sich der Wasserspiegel zurückgezogen.
»Der Pegel liegt mindestens zwei Meter unter seinem normalen Niveau«, hörte er Benjamin erneut. »Seht ihr die Ufermauer? Sie liegt fast völlig frei.«
Er hatte recht. Die Mauer überragte nicht wie sonst den Wasserspiegel um einen Meter, sondern jetzt waren es drei oder vier Meter.
»Schaut mal, dort am Horizont!« Benjamin rannte mit der Kamera durch den Schnee einige Meter nach vorne und schrie über die Schulter hinweg. »Oh Mann, sie kommt direkt auf uns zu! Wie in The Day After Tomorrow. Seht ihr das? Wir sollten in Deckung gehen.«
Chris lief ein Schauer über den Rücken, als er die Wolke sah, die sich über die unbewegte Oberfläche des Lake Mirror schob. Und wieder brachte er dieses Bild der Insekten nicht aus dem Kopf. Als zöge ein riesiger Schwarm Ungeziefer in rasender Geschwindigkeit direkt auf sie zu.
Doch alles, was diese Wolke brachte, war nur noch mehr Schnee. Millionen, nein, Milliarden Schneekristalle wirbelten durch die Luft und im nächsten Moment konnte er die anderen nicht mehr erkennen. Sie wurden einfach verschluckt von dem Weiß.
Der Schnee peitschte ihm ins Gesicht und der Wind drängte ihn nach hinten, wo er sich an das Gitter presste, das den Eingang zum College versperrte.
Das alles war nicht geplant. Sie hätten jetzt schon in Fields sein können.
Wir hätten auch tot sein können, flüsterte eine andere Stimme in seinem Kopf. Also, sei froh, dass nicht mehr passiert ist. Und du bist mit Julia zusammen. Das ist das Einzige, was zählt.
So schnell, wie die Wolke aufgetaucht war, löste sie sich wieder auf. Die Sicht wurde klarer. Er konnte Julia neben sich erkennen. Sie zitterte am ganzen Körper.
»Chris, was war das?«, hörte er sie flüstern.
Er riss sich zusammen und umarmte sie. »Es ist nur der Sturm. Keine Sorge. Ich kümmere mich darum, dass wir hier wegkommen.«
Er wandte sich an Ben. »Versuchen wir es an den Seiteneingängen.«
»Die werden auch abgeschlossen sein«, meinte Rose sachlich.
Chris’ Sorge schlug in Gereiztheit um. »Was schlägst du denn vor? Hier draußen übernachten?«
»Ich rufe in der Zentrale an.« Im nächsten Moment zog sie bereits ihr Handy aus der Tasche und tippte eine Nummer ein.
Alle sahen sie erwartungsvoll an, doch Sekunden später schüttelte sie den Kopf. »Automatische Ansage!«
Sie wechselten unschlüssige Blicke.
Chris fiel etwas ein. Julia hatte ihn am Morgen von Steves Handy aus angerufen.
Er klickte sich in die Anrufliste.
Doch neben dem roten Pfeil las er: Unbekannter Anrufer.
Der Mistkerl hatte seine Nummer unterdrückt.
»Okay«, sagte er. »Teilen wir uns auf. Ich und Julia, wir gehen zum rechten Seiteneingang, Benjamin, Rose und Debbie, ihr versucht es links.«
»Ich mache keinen Schritt mehr!«, weigerte sich Debbie.
»Dann bleib hier. Sowieso besser. Irgendwann muss ja einer dieser Loser von Wachmännern mal auf die Idee kommen, seine Arbeit zu machen.«
Chris griff nach Julias Hand. Gemeinsam
Weitere Kostenlose Bücher