Der Sturm
liefen sie Richtung Südflügel und hatten den Seiteneingang fast erreicht, als ein lautes Scheppern zu hören war. Zuerst dachte Chris, es handele sich um irgendein Metallteil, das vom Wind heruntergerissen worden war, bis er begriff.
Das Scheppern hielt an. Chris löste sich von Julia und rannte los.
Er hörte seine Freundin hinter sich rufen, doch er antwortete ihr nicht. Dann hatte er es geschafft und den Seiteneingang erreicht. Was er befürchtet hatte, war eingetroffen. Auch hier versperrte ein Stahlgitter den Weg ins Innere. Selbst wenn sie einen Schlüssel gehabt hätten, hätten sie keine Chance gehabt, in das Gebäude und damit ins Warme zu kommen.
Seine Hände klammerten sich an die Metallverstrebungen und rissen an ihnen. Und Chris wünschte sich nicht zum ersten Mal in seinem Leben, dass man allein durch die Kraft seiner Gedanken all die Probleme lösen könnte, die sich einem im Leben entgegenstellten. Wie zum Beispiel, dieses Gitter aus den Angeln zu heben oder diesen Tag von vorne beginnen zu können oder seine Entscheidung rückgängig machen zu können, die ihn an diesen Ort geführt hatte.
Doch im nächsten Moment, als Julia neben ihm auftauchte und leise sagte: »Wir sollen nicht hinein, oder? Irgendjemand versucht, das zu verhindern«, wusste er, dass er es nicht bereute, den Erzählungen seines Vaters auf den Grund gehen zu wollen.
Julia.
Sie war es wert, hier oben zu sein.
Wenn er es ihr nur begreiflich machen könnte.
8. Kapitel
Liste No. 5 – Menschen, denen ich Böses wünsche!
Debbie bemerkte kaum, wie die anderen verschwanden. Sie war damit beschäftigt in ihrem Kopf aufzuzählen, wem sie Böses wünschte. Chris zum Beispiel, weil er sie heute fast umgebracht hätte.
Sie würde sich an ihm rächen, so viel stand fest. Wie die Rache aussah, das würde sie sich später überlegen. Ihr Kopf schmerzte und sie fühlte sich so müde, während ihre Gedanken im Kopf herumwirbelten wie die Schneeflocken vor ihren Augen.
Chaos, dachte sie.
Überall Chaos.
Oh ja, sie hatte schon viele böse Dinge in ihrem Leben getan. Richtig böse Dinge, wenn man sie von außen betrachtete. Aber – nie ohne Grund. Nein. Sie war gerecht. Nur manche Menschen verdienten es nicht anders. Und das war nicht ihre Schuld, oder?
Das Schlimmste war wohl gewesen, dass sie ihrer zweijährigen Schwester Alice bunte Murmeln in den Mund gesteckt hatte. Ihre schönsten! Alice hatte sie prompt verschluckt, in dem Glauben, es handele sich um Bonbons. Der Erstickungsanfall war schrecklich gewesen. Aber wozu war schließlich Alice’ Dad und Debbies Stiefvater Arzt? Und es war nicht wirklich lebensbedrohlich gewesen – oder?
Blöd war nur, dass sie sofort auf die Idee gekommen waren, sie, Debbie, hätte etwas damit zu tun. Dabei hatte sie es bis zum Schluss bestritten. Und es gab keine Beweise. Also, wie kamen sie darauf, sie könnte es gewesen sein? Woher nahmen sie die Gewissheit? Alice hatte kein Wort gesagt. Wie auch? Sie hatte schließlich erst mit drei angefangen zu sprechen. Nein, ihre kleine Schwester besaß wirklich nicht ihre Intelligenz. Aber jeder bewunderte sie.
Und dann hatten sie Debbie zu diesem Arzt geschickt.
Von wegen Arzt.
Prof. Dr. Jonathan Green gehörte zur Spezies sabbernder, bärtiger Psychiater, die ganz Nordamerika überschwemmten, weil Juden angeblich die besten Psychiater der Welt waren. Debbie liebte landesweite Statistiken. Das war ein weiterer Grund gewesen, Geografie als Hauptfach zu nehmen.
Mr Green war ein Kollege ihres Stiefvaters an der renommierten Rosewood-Klinik in Seattle. Debbie hatte ihn von Anfang an nicht gemocht, aber spätestens als er sie in diese schreckliche Röhre gesteckt hatte, um eine sogenannte kraniale Computertomografie zu machen, war Hass daraus geworden. Fünf Minuten.
Sie hatte fünf Minuten lang still daliegen müssen, ohne Beruhigung, ohne Ablenkung.
Der Lärm war ohrenbetäubend gewesen und die Wände waren näher und näher gerückt. Und obwohl Debbie gerufen hatte, hatten sie die Untersuchung nicht abgebrochen.
Aber Dr. Green hatte nichts gefunden in ihrem Gehirn. Wie auch? Ihr Kopf war völlig in Ordnung – sonst wäre sie ja nicht am Grace angenommen worden, oder? Ihr, Debbies, Gehirn war clean. Eine Glanzleistung Gottes könnte man sogar sagen.
Hätte Mr Jonathan Green ausgesehen wie McDreamy aus Greys Anatomy, dann hätte sich Debbie liebend gerne auf diese Liege gelegt. Sogar nackt! Vor allem nackt!
McDreamy hätte sie auch von Jake
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