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Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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und winkten in die Kamera.
    Der Film war nicht professionell – er erinnerte Chris eher an einen dieser Super-8-Filme, die seine Mutter ihm von ihrer eigenen Kindheit gezeigt hatte.
    Die Urform von Amateurvideos.
    »He, ist das live?«, fragte jemand und ein Gesicht erschien auf der Leinwand. Lange Haare bis auf die Schulter, einige Strähnen klebten nass an der Stirn.
    Zwei andere Schattengesichter grinsten in die Kamera. Einer von ihnen hielt einen Spaten in die Kamera.
    »Genau darum geht es heute«, sagte er. »Wer nicht den Weg der Erkenntnis geht, dem bleibt nur der Weg ins Grab, huhhh!«
    Lachen antwortete ihm und dann war ein Ächzen zu hören, ein schabendes Geräusch, etwas fiel dumpf zu Boden.
    »He, Bill, warum kommst du eigentlich nicht mit uns?«
    »Weil ich genau weiß, was ich nicht will im Leben.«
    »Ach ja und was ist das?«
    »Auf einen Berg steigen! Und mich so abschuften wie ihr!«
    »Du wirst eine Menge Spaß verpassen!«
    »Und vor allem scheidest du aus im Kampf um unsere Schönheit!«
    »Ach ja? Und ich dachte, ihr geht da wegen der Erkenntnis hoch!«
    »Du weißt doch, was Nietzsche sagt: ›Durch Frauen werden die Höhepunkte des Lebens bereichert...‹«
    »Und die Tiefpunkte vermehrt.«
    Wieder Lachen.
    Dann Stöhnen und Ächzen.
    Die Kamera schwenkte zur Seite und ein neues Gesicht erschien. »Was machst du denn hier?«
    »Na ja, ich würde sagen, zu einem anständigen Grab gehört ein Kreuz, oder?«
    Chris hörte, wie Julia leise aufschluchzte, aber er konnte sich nicht rühren.
    Hörte das Lachen, das von vorne kam.
    »He, was habt ihr eigentlich getrunken?« Das war eindeutig die Stimme desjenigen, der die Kamera führte.
    Der Junge mit den langen Rastahaaren kam ins Bild. Er hielt einen Spaten in der Hand, den er nun in den Boden rammte, sich daraufstützte und grinsend erklärte: »Eine Mischung aus Limo und Bier. Na ja, vielleicht sind auch ein paar Wodka dazwischengeraten – so genau nehme ich es da nicht!«
    Wieder ertönte ein Lachen aus dem Hintergrund.
    »Und was genau habt ihr hier vor?«
    »Wonach sieht es denn aus? Halt doch mal die Kamera darauf, Bill.«
    Die Kamera schwenkte nach links und zeigte ein rechteckiges Loch, daneben einen Haufen Erde.
    Das Loch wirkte tief, dunkel...
    Six feet under, schoss es Chris durch den Kopf.
    Das, was sie vor sich sahen, war ganz eindeutig ein Grab.

15. Kapitel
    J ulia zitterte am ganzen Körper. »Sag, er soll das ausmachen«, wimmerte sie. »Chris, er soll damit aufhören!«
    Chris drehte sich um und rief in Richtung Beamer: »He, Benjamin, stopp den Scheiß! Sofort!«
    Keine Antwort.
    Stille.
    Der Ton verstummte abrupt und die Leinwand vor ihnen wurde schwarz. Nur noch ein leises Surren drang aus dem Projektorraum zu ihnen.
    Eine Weile saßen sie schweigend im Dunkeln, bis endlich die Lampen über ihnen angingen. Das grelle Neonlicht blendete Chris und verwandelte die Welt um ihn herum in ein scharfes Zerrbild aus Hell und Dunkel, als befände er sich selbst in einem Schwarz-Weiß-Film. Er fühlte, wie ihm ein Schauer über den Rücken lief, ein Grauen, das er nicht genau benennen konnte.
    Und es lag nicht nur daran, dass Julia sich neben ihm nicht rührte. Nein, der Film hatte ihm etwas gezeigt, das er bereits aus den Erzählungen seines Vaters kannte. Doch Worte waren abstrakt im Gegensatz zu den Bildern, die er gerade gesehen hatte. Wie jung diese Studenten gewesen waren, wie lebendig, hoffnungsvoll, fröhlich – aber da hatte noch etwas anderes mitgeschwungen. Arroganz.
    Und das leere Grab?
    Er konnte sich nicht helfen, aber das alles hatte etwas Morbides an sich.
    Chris wollte sich gerade zu Julia beugen, als sie aufsprang und in die Dunkelheit schrie: »Was sollte das, Ben? Warum hast du uns das erst jetzt gezeigt? Warum hast du uns das all die Zeit verheimlicht?«
    Chris schüttelte den Kopf. Benjamin hatte nichts damit zu tun. Er kannte ihn inzwischen gut genug. So, wie er dort im Mittelgang stand, die Hände in die Luft erhoben, sprach aus ihm blanke Verwunderung.
    »Ich? Nein, ich wasche meine Hände in Unschuld. Es gibt zwar im Archiv ein paar alte Schinken, aber das sind ganz normale Filme.«
    Rose schüttelte den Kopf. »Wenn du diesen Film nicht eingelegt hast, Ben, wer dann?«
    »Warum regst du dich eigentlich so auf, Julia? Ist doch Wahnsinn, oder? Das war es, wonach wir immer gesucht haben. Nach der Wahrheit, nach Beweisen für die Geschichte von damals. Und jetzt haben wir es direkt vor uns. Zwar nicht in Farbe

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