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Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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sich nach vorne und gab Julia einen Kuss. »Ich bin gleich wieder da.«
    Dann verließ er das Apartment. Draußen auf dem Flur war das Jaulen noch klarer zu hören. Es ging Chris durch Mark und Bein. Er wartete, bis Julia hinter ihm die Tür schloss und sich der Schlüssel im Schloss drehte.
    Dann blickte er den langen düsteren Korridor entlang. Eine Glastür folgte der anderen und immer wieder zweigten Treppen ab.
    In dem Moment, als sich die Tür hinter ihm schloss, verstummte auch das Geräusch.
    Er lauschte.
    Sah nach rechts, sah nach links.
    Wünschte sich, er hätte überall Augen und Ohren, denn immer wieder hatte er das Gefühl, in seinem Rücken lauere Gefahr.
    Dreh bloß nicht durch, sagte er sich, vielleicht ist es einfach nur vorbei.
    Nach kurzer Überlegung beschloss er, zuerst nach Benjamin zu suchen. Der hatte sich mit Sicherheit in ihr Apartment verzogen. Er wandte sich nach links, ging durch die Glastür, die zum Treppenhaus führte, und rannte, zwei Stufen auf einmal nehmend, hinunter zu ihrem Apartment im ersten Stock des Seitenflügels. Und während er die Treppe hinunterraste und den Flur entlangeilte, stellte er fest, dass die Bilder des Films zurückkehrten.
    Das hätten auch wir sein können, schoss es ihm durch den Kopf.
    Nein!
    Da war noch etwas anderes! Wir hatten einen konkreten Plan! Es ging einfach darum, auf den Gipfel eines Dreitausenders zu steigen. Und ja, wir wollten herausfinden, ob wir dort oben eine Spur finden würden. Julia wollte das und er auch. Er hatte herausfinden wollen, ob sein Vater wirklich die Schuld getragen hatte. Und jetzt, nachdem Chris den Film gesehen hatte, wollte er umso mehr glauben, dass das nicht der Fall war.
    Aber diese Studenten in dem Film, die hatten eine Sicherheit in ihrem Blick gehabt, dass sie alles erreichen konnten im Leben. Sie hatten sich nicht gefürchtet, sie hatten nicht daran gedacht, dass sie nie zurückkehren würden.
    Sie waren zu sicher gewesen.
    Chris kam an den Aufzugtüren vorbei und blieb abrupt stehen. Das Jaulen hatte wieder eingesetzt. Es konnte wirklich von überall her kommen. Rechts? Links? Oben? Unten?
    Es war wie im Kino – eine Art Dolby Surround Sound. Aber vielleicht bildete er sich das auch alles nur ein. Dieser Tag war einfach nur verrückt und es war zu viel passiert. Die Nerven waren überreizt und langsam hatte er den Eindruck, dass nicht nur Debbies, sondern auch sein Verstand langsam nur noch auf dem niedrigsten Level arbeitete.
    Und nun ging auch noch das Licht aus. Vor einigen Monaten hatte das College die Korridore der Seitenflügel mit Bewegungsmeldern ausgestattet, um Strom zu sparen. Sobald man stehen blieb, ging das Licht aus. Seine Hand tastete sich die Wand entlang auf der Suche nach einem der Lichtschalter. Etwa drei Meter entfernt sah er einen rot in der Dunkelheit aufleuchten, doch noch bevor er ihn erreichte, flammte das Licht auf und Benjamin stand mit der Kamera vor ihm.
    »Meinst du, das ist der Sturm?«, fragte er. »Ich nämlich nicht.«
    »Ich auch nicht. Das kommt aus dem Innern des Gebäudes!«
    »Hört sich wie ein Tier an. Wie ein Wolf oder so.«
    »Wölfe im Tal?« Chris schüttelte den Kopf. »Das wäre ja mal etwas ganz Neues.«
    Eine Weile standen sie unschlüssig nebeneinander und rührten sich nicht. Das Licht ging aus. Das Heulen ebbte ab. Chris beugte sich nach vorne und drückte auf den Schalter. Es wurde wieder hell und das grauenvolle Jaulen setzte erneut ein.
    »Wenn du mich fragst, dann kommt es aus dem Aufzugschacht«, meinte Benjamin. »Von ganz tief unten.«
    Chris hielt den Atem an und versuchte, sich zu orientieren.
    Benjamin hatte recht. Von rechts und links war das Pfeifen des Windes zu hören. Doch von dort unten, aus diesem Schacht, kam dieses andere Geräusch. Chris drückte auf den Knopf und hörte, wie die Aufzugkabine sich nach oben in Bewegung setzte. Jetzt leuchtete der Knopf UII, UI, E. Und dann war der Aufzug angekommen. Zumindest öffneten sich die Türen. Benjamin wollte schon einen Schritt nach vorne machen, da ging das Licht aus und – Chris riss ihn gerade noch zurück. Was genau es war, das ihn dazu brachte, konnte er nicht einmal sagen. Intuition? Misstrauen? Oder vielleicht hatte sein Verstand auch einfach in dieser Millisekunde, die zwischen dem Öffnen der Aufzugtüren und dem Erlöschen des Lichtes lag, gesehen, dass etwas nicht stimmte.
    »Verfluchtes Licht«, hörte er Benjamin murmeln. »Diese Bewegungsmelder machen einen total verrückt. Dauernd

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