Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
Vom Netzwerk:
ersten Moment, Benjamin spräche mit ihm, bis er feststellte, dass sein Freund filmte und leise in das Mikrofon flüsterte, das an seiner Jacke befestigt war. »Ein Untier, wild und seltsam, Zerberus bellt, wie ein böser Hund, aus dreien Kehlen jedweden an, der dort hinuntermuss.«
    Und wieder einmal war Chris von Benjamin überrascht.
    »Was quatschst du denn da für einen Blödsinn?«, fragte er.
    »Noch nie was von Dante gehört? Die Göttliche Komödie?«
    »Schon, aber ich wüsste kein einziges Zitat.«
    »Tja, das spricht für deine Halbbildung. Du solltest auch den Kurs Mythologie belegen...«
    Das Heulen ging in ein grässliches Jaulen über. Chris’ Mund wurde trocken und sein Magen verkrampfte sich. Angst war eine Sache, Panik vielleicht die Steigerung, aber was er empfand, war etwas anderes. Etwas, für das es kein Wort gab. Wenn der Atem stillsteht, wenn sich die Haare im Nacken sträuben... Grauen. Ein Wort, das nur in Büchern vorkam.
    Chris hatte nie von sich gedacht, dass er feige war. Gut, er ging Problemen eher aus dem Weg, aber das kam daher, dass sein Überlebenstrieb ziemlich stark ausgeprägt war. Doch jetzt spürte er nicht den Impuls, einfach davonzulaufen.
    Es war, als machte das Grauen seine eigenen Regeln, und Chris konnte nicht anders, als mitzuspielen. Das Jaulen war wie ein Sog.
    Das ist nicht Realität, sagte er sich. Es existiert nur in deinem Kopf, Chris. Du kennst das doch. Das Gehirn ist ein Organ, das seinen eigenen Gesetzen folgt. Und es war, als übernehme mit diesem Gedanken der Verstand wieder die Regie über die Wirklichkeit.
    Stopp!
    Versuch, einen klaren Kopf zu bekommen.
    Chris hielt inne, während Benjamin sich wie ferngesteuert vorwärtsbewegte. Er trug die Kamera wie einen Schutzschild vor sich her.
    Und in der nächsten Sekunde traf Chris von hinten ein Schwall kalter Luft. Etwas streifte seinen Rücken. Abrupt drehte er sich um. Da war niemand.
    Oder doch?
    Er hörte, wie sich der Aufzug langsam in Bewegung setzte und irgendwo zum Stehen kam.
    Stille.
    Und wieder dieses klagende Heulen.
    »Wenn du mich fragst«, sagte Benjamin, »kommt es von unten.«
    »Aber wir waren unten. Da kam es von oben!«, erwiderte Chris.
    »Ich weiß.«
    Nun hatten sie das Ende des Flurs erreicht, wo sich eine weitere Tür befand. Ein Hinweisschild war angebracht, das die Collegeschüler nur zur Genüge kannten. Normalerweise fand man diese Symbole draußen am See. Das erste Mal waren sie auf eins der Schilder gestoßen, als sie auf jene verhängnisvolle Willkommensparty im Bootshaus gegangen waren.
    »Sperrgebiet. Unbefugter Zutritt strengstens verboten.«
    Chris’ Schuhe quietschten auf dem Boden und im nächsten Moment trat er in irgendetwas, rutschte aus. Als er versuchte, sich festzuhalten, griff er in etwas Feuchtes.
    »Scheiße!«, fluchte er.
    »He, Chris, lebst du noch?«, hörte er Benjamin vor sich.
    Chris rappelte sich wieder auf, doch auch nachdem er sich die Hände an seiner Jeans abgewischt hatte, fühlten sie sich noch klebrig an.
    Aber das spielte jetzt keine Rolle. Wie gebannt ging er weiter.
    Hinter dieser Tür war etwas.
    Das Kratzen und Schaben auf der anderen Seite konnte er sich nicht einbilden...
    Oder etwa doch?
    »Mann, Chris«, flüsterte Benjamin, »wenn du in diesem Moment behaupten würdest, hinter dieser Tür sei ein Werwolf, ehrlich, ich würde es dir abkaufen.«
    »Du kannst dich beruhigen«, erwiderte Chris, »das ist kein Werwolf.«
    »Woher willst du das so genau wissen? Ich glaube inzwischen alles.«
    »Heute ist kein Vollmond«, gab Chris mit zusammengebissenen Zähnen zurück und drückte den Griff der Tür nach unten, sodass sie aufsprang. Chris glaubte, einen schwarzen Schatten wahrzunehmen, der jedoch innerhalb von Sekunden mit der Dunkelheit verschmolz.
    »Hey, Alter, hier stehen definitiv zu viele Türen offen.«
    Ben versuchte, einen lässigen Tonfall anzuschlagen, aber es misslang jämmerlich.
    Er hatte recht.
    Erst der Zugang zu diesem Geschoss. Sie hatten keine Chipkarte gebraucht und keinen Schlüssel. Und jetzt das.
    »Wir hätten eine Taschenlampe mitnehmen sollen«, sagte Chris, um sich abzulenken.
    Im nächsten Moment erhellte ein schmaler Lichtkegel die Umgebung. »Es gibt Leute, die gehen nie ohne Schirm aus dem Haus, doch hier am Grace gibt es etwas, das man viel öfter benötigt.«
    »Mann«, murmelte Chris kopfschüttelnd, »du bist echt ein Freak.« Er sah sich verstört um. »Wollen wir wirklich...?«
    »Wagt es einer der Toten,

Weitere Kostenlose Bücher