Der Sturz aus dem Fenster
aus anderen Fachbereichen hatten und sich nicht daran störten, als ›lehrende Frauen‹ klassifiziert zu werden (im Gegensatz zum vermeintlich geschlechtslosen ›Lehrkörper‹), trafen sich kontinuierlich, wenn auch unregelmäßig. Nicht 45
zu jedem Treffen kamen alle Professorinnen und Dozentinnen. Aber die Frauen, die diese Treffen schätzten, schrieben eine kurze Notiz, wenn sie fernblieben, und versuchten, mindestens ein oder zwei Mal pro Jahr anwesend zu sein. Jene, die diese Sitzungen ablehnten, reagierten und erschienen, obwohl regelmäßig eingeladen, nicht –
außer einer Professorin, die einmal einen leidenschaftlichen Brief geschrieben hatte. Wenn Frauen nur darauf aus seien, »Ärger zu machen«, hieß es darin, würden sie sich bei der Verwaltung kaum beliebt machen. Die Antwort – daß Frauen jahrhundertelang keinen Ärger gemacht hatten, ohne sich dadurch bei den Institutionen der Macht im mindesten beliebt zu machen – zeitigte keine erkennbare Wirkung. Abgesehen von einer Ausnahme befürwortete keine einzige der älteren Professorinnen diese Treffen. Kates Favoritin war eine Philosophieprofessorin, die, was einzigartig in der Geschichte dieses Fachbereichs war, einen Lehrstuhl innehatte, weil der damalige Fachbereichsvorsitzende mit ihr zusammenlebte und gedroht hatte, die Universität zu verlassen, wenn sie nicht berufen würde. Diese Situation steckte voller wunderbarer Ironie: Zum einen war die Frau in der Tat brillant und hatte den Lehrstuhl wirklich verdient. Ohne die Intervention ihres Gefährten hätte sie ihn – als Frau – zu jener Zeit jedoch nicht bekommen. Zum anderen war sie eine entschiedene Gegnerin jeder Form von Feminismus und betonte immer wieder mit Nachdruck, jede Frau, die qualifiziert genug sei, könnte das gleiche erreichen wie sie. Keine einzige Feministin an der Universität hatte je den Mut gefunden, dieser ehrwürdigen Philosophieprofessorin gegenüber »respektlos« zu sein und ihr die grundsätzliche Widersprüchlichkeit ihrer Situation vor Augen zu führen.
Die Treffen verliefen sehr zwanglos. Sherry wurde gereicht. Ka-te, die Sherry verabscheute, trank stets Mineralwasser und genoß die Gespräche. Nach dem ersten allgemeinen Begrüßungswirbel fragte die Frau, die die Treffen einberief und die – einzigartig an dieser Universität, wo jeder unter Arbeitsüberlastung litt – der rührige Geist des Ganzen war, ob ein Thema zur allgemeinen Diskussion anstehe oder ob jemand ein spezielles Anliegen habe. Normalerweise riefen diejenigen, die einen bestimmten Tagesordnungspunkt im Kopf hatten, am Tag vorher an, um ihn durchzugeben. Genau dies hatte Kate nach ihrem Gespräch mit Edna Hoskins getan. Und während sie die Frau, die die Sitzung leitete, mit großer Zuneigung und Bewunderung betrachtete, wartete sie, bis diese ihr das Wort erteilte.
Miriam Rubin war Anfang sechzig und hatte sich die Freiheit ge-46
nommen, alt zu werden, ohne ihren Stil im geringsten zu verändern.
Sie war eine winzige Person – viele nannten sie Dr. Ruth, nach einer ebenso kleinen und zierlichen Ärztin, die als Ratgeberin für sexuelle Probleme im Fernsehen auftrat; und es fiel in der Tat nicht schwer, sich Miriam in dieser Rolle vorzustellen. Sie war die offenherzigste Frau, die Kate je kennengelernt hatte, und herrlich gleichgültig gegenüber dem, was andere von ihr dachten – außer den wenigen, die sie sich zu lieben entschlossen hatte. Dazu gehörten ihr Mann, ihre Kinder, einige wenige Freunde (alle männlich) aus den alten Tagen und die Jack-Russell-Terrier, die sie und ihr Mann in ihrem Vor-stadthaus züchteten. Kate bewunderte Miriam, der Vorsicht und politisches Taktieren gänzlich fremd waren und die mit ihrem Mut anderen Mut machte, ohne daß es ihr bewußt gewesen wäre. Wie sehr sie geliebt wurde, war ihr ebensowenig klar.
Einige Angelegenheiten wurden besprochen, die, wie Miriam sagte, schon lange auf der Tagesordnung standen. Danach, kündigte sie an, wolle sie Kate das Wort geben, die etwas sehr Wichtiges vorzutragen habe. Miriam war unfähig, oder jedenfalls nicht bereit, Nachnamen in den Mund zu nehmen – ihr persönlicher Kampf gegen die Aufgeblasenheit männlicher Pädagogik.
Kate sagte: »Sie alle wissen, daß Professor Canfield Adams spät-abends nach einem Sturz aus dem Fenster seines Büros gestorben ist.
Die Polizei glaubt, daß er hinausgestoßen wurde, kurz, daß es sich um Mord handelt. Die Verwaltung dieser Universität ist unglücklich
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