Der Sturz aus dem Fenster
sich für den einzig wichtigen Menschen auf der Welt, vom Präsidenten der Vereinigten Staaten mal abgesehen. Er hatte keine Skrupel, uns Sekretärinnen ständig Überstunden machen zu lassen, weil ihm erst fünf vor fünf irgendeine Arbeit einfiel, die sofort erledigt werden mußte. Die meisten von uns studierten und hatten zwischendurch Seminare. Das war abgespro-chen, und nur deshalb arbeiteten wir für einen so lumpigen Lohn.
Aber er fand immer einen Weg, uns daran zu hindern oder hatte Einwände, wenn wir gehen mußten. Er tätschelte Hintern und glaubte, wenn er kokett nach etwas fragte, könne niemand ihn abweisen.
Und verdammt, meistens hat es sogar funktioniert, zumindest bei den Studentinnen, die sich nicht trauten, ihn schroff zurückzuweisen, weil er so viel Macht hatte, und die seine obszönen Gesten oft so 111
lange mißverstanden, bis sie absolut unmißverständlich waren, und dann liefen sie Gefahr, vergewaltigt zu werden – die Studentinnen, meine ich. Frau Professor Fansler, wir reden über einen wirklich schrecklichen Menschen. Nicht nur ein bißchen verrückt, sondern wirklich widerlich. Es wundert mich, daß er nicht schon früher umgebracht worden ist.«
»Was ist mit seiner Frau? Hat die irgend jemand gemocht?«
»Sie machen wohl Witze. Verzeihung, so spricht man wahrscheinlich nicht mit einer Professorin, aber das kann nicht Ihr Ernst sein. Sie hatte keine Hemmungen, absolut keine, anzurufen, weil ihr Mann ein paar Studenten oder Kollegen zu sich nach Hause eingeladen hatte, und ob wir alles Nötige bestellen könnten und zu ihr nach Hause kommen und helfen, alles zu arrangieren. Ich meine, diese Frau hat mehr Chuzpe, als sie je wird ausschöpfen können. Neben ihr wirkte Adams manchmal geradezu menschlich, und das will was heißen.«
»Glauben Sie, alle Sekretärinnen in allen Fachbereichen haben einen solchen Groll auf die Professoren?« fragte Kate, ehrlich neugierig. »Ich dachte immer, an unserem Fachbereich herrsche ein gewisser Korpsgeist, aber das glauben wahrscheinlich alle Professoren, einfach, weil es ihnen so angenehm wäre.«
»Manche Fachbereiche sind schlimmer als andere, aber alle haben ihre Probleme; das ist die reine Wahrheit, ob Sie sie hören wollen oder nicht. Ich bin sicher, Sie sind den Sekretärinnen gegenüber die Höflichkeit in Person; das sieht man Ihnen einfach an. Sie sind bestimmt noch nie in einen Raum voll mit unseresgleichen geplatzt und haben gesagt: ›Hier ist niemand‹. Wahrscheinlich beauftragen Sie auch niemanden, den ›Mädels‹ etwas zum Tippen zu geben. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, daß Sie eine Sekretärin anschrei-en, als hätte sie all die umständlichen Universitätsverordnungen erfunden – aber viele tun das, glauben Sie mir. Das Komische daran ist, daß fast alles, was an dieser Universität funktioniert, nur deshalb funktioniert, weil die Sekretärinnen und Sachbearbeiterinnen in den jeweiligen Fachbereichen als einzige den Durchblick haben. Die Ignoranz der Professoren und Dozenten wird nur noch von ihrer Ungeduld übertroffen. Ich gehe zu weit, ich weiß; das ist mein Kar-dinalfehler.«
»Was studieren Sie?« fragte Kate.
»Kunstgeschichte«, sagte Susan, »und bitte, stellen Sie mir keine Fragen über diesen Fachbereich. Ich verschließe die Augen gegen-112
über den Tatsachen des Lebens dort und kümmere mich nur um mein Studium, eine Entscheidung, die lange überfällig ist, das versichere ich Ihnen.« Kate schmunzelte innerlich. Sie mochte Susan immer mehr. Aber das brachte Kate keinen Schritt weiter. Wundervolle Gespräche, großartige Menschen, keine Hinweise, nicht einmal viele Geschichten, außer der ewigen Leier von dem entsetzlichen Professor Adams und seiner noch schrecklicheren Frau.
»Hören Sie zu«, sagte Susan und löffelte ihren Nachtisch. »Adams war ein Schwindler. Er manipulierte, wo er konnte, und war auch noch mächtig stolz darauf. Fast alles, was er hatte, hatte er sich dadurch verschafft, daß er sich jahrelang bei der Verwaltung und den Professoren, die etwas zu sagen hatten, einschleimte. Wenn Sie mich fragen, ich glaub’, zum Schluß hat er sich geradewegs aus dem Fenster geschleimt.«
»Aber wem hat er dabei geschadet?«
»Das ist die Kardinalfrage, die Sie werden lösen müssen. Haben Sie an seine Familie gedacht? Er hatte Kinder aus seiner ersten Ehe.
An deren Stelle hätte ich ein Familientreffen einberufen mit dem einzigen Tagesordnungspunkt: Wir werfen Paps aus dem
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