Der Sturz aus dem Fenster
Fenster.
Sie haben wirklich ein Problem, weil das Opfer so herzhaft unbeliebt war. Wahrscheinlich wurde er durch den schieren Druck angesam-melten Hasses aus dem Fenster geblasen; das habe ich schon gesagt, oder?«
»Ich fürchte, eines wird mir erst jetzt richtig klar«, sagte Kate.
»Abgesehen von dem ersten Schock, der Gewaltsamkeit seines Todes und der Tatsache an sich, ist es einem völlig egal, daß er hinaus-geblasen wurde. Bisher habe ich noch niemand getroffen, bei dem es anders gewesen wäre« (außer, fügte Kate im Stillen hinzu, vielleicht der Witwe, die wahrscheinlich gern noch ein paar Hunderttausend mehr für sich herausgeschlagen hätte). »Niemand wird Adams vermissen. Im Gegenteil, die Gefühle, die sein Verschwinden auslösen, sind ihrem Wesen nach mit Erleichterung zu vergleichen.«
»Ich glaube, Sie haben recht. Ohne Arabellas Tod wäre das wahrscheinlich nie so deutlich geworden. Ich vermisse Arabella und bin rasend wütend über ihren Tod. Ständig habe ich das Gefühl, sie kommt mir auf dem Flur entgegen, auch wenn ich auf einem ganz anderen Flur bin. Sie gehörte zur Szenerie, und jetzt fehlt etwas.
Arabella zählte. Sie war wichtig. Sie wurde gemocht.«
»Und deshalb«, sagte Kate, »war der Mord an ihr der größte Fehler, vielleicht der einzige Fehler, den Adams’ Mörder gemacht hat.
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Und wenn meine Suche nach ihm Arabella das Leben gekostet hat, wie gern hätte ich darauf verzichtet, ihn zu finden.«
»Aber«, sagte Kate am Abend zu Reed, »nimm einmal an, Adams’ und Arabellas Tod hängen zusammen? Nimm mal an, der Mörder hatte es von Anfang an auf Arabella abgesehen?«
»Als Story im Fernsehen würde sich das gut machen, da gebe ich dir recht«, sagte Reed. »Aber denk mal nach. Eine junge schwarze Frau stürzt in der 140. Straße in den Tod. Wer würde sich darum scheren? Du weißt so gut wie ich, daß schwarze Gangs sich ständig gegenseitig umbringen und niemand die geringste Notiz davon nimmt, es sei denn, sie wagen sich aus ihrem Territorium in die
›anständigen‹ Stadtteile und töten einen Weißen. Das gilt für alle Städte: New York, Los Angeles, Chicago, New Haven – was meinst du, wie viele Städte mir noch einfallen würden, wenn ich weiter-machte?«
»Ich verstehe, worauf du hinauswillst. Aber glaubst du nicht auch, daß zwischen Adams und Arabella irgendeine Verbindung bestand?«
»Meine Liebe, sie waren auf demselben Stockwerk an derselben Universität, und in ihrer Einstellung zu unserer heutigen Gesellschaft Lichtjahre voneinander entfernt. Das ist zwar nicht gerade eine Verbindung, aber auch nicht ganz ohne Bedeutung. Der naheliegendste Schluß ist: Sie hat der) Mörder gesehen.«
»Offensichtlich. Aber warum hat sie es nicht gesagt? Oder, wenn sie es für sich behalten wollte – warum hat der Mörder schließlich fürchten müssen, sie plaudert doch? Ich meine, zwischen Adams’
und ihrem Tod liegen Monate.«
»Man kann nicht wissen, ob es zwischen ihrem Tod und dem von Adams eine Verbindung gibt, aber in ihrem Leben muß es eine gegeben haben. Das Leben ist viel komplizierter, als das Fernsehen uns glauben macht.«
»Reed, würdest du bitte aufhören, vom Fernsehen zu reden. Ich verstehe nicht, warum du es dauernd erwähnst. Du siehst nicht fern und ich auch nicht, warum zum Teufel sollten wir darüber reden?«
»Weil das Fernsehen unser Leben formt. Es zeigt Möglichkeiten auf, oder, mit deinen unsterblichen Worten: es führt uns Geschichten vor. Im Fernsehen steht alles, was geschieht, in einem Zusammenhang; das muß so sein. Im Leben dagegen passieren ständig herrlich zusammenhanglose Dinge in ein und derselben Vorabendserie.«
»Danke für deine erleuchteten Worte, o du Weiser.«
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»Du wirst immer schnippisch, wenn du frustriert bist. Das ist mir schon oft aufgefallen und ist natürlich ein allgemein menschlicher Zug, aber du bist ziemlich schnell frustriert, wenn du mir die Bemerkung erlaubst. Du hast nichts herausgefunden, was dich weiterbringt, also bist du wütend auf die ganze Welt.«
»Ich bin wütend auf dich. Wirklich, Reed, du warst immer so verständnisvoll – was ist los? Langsam glaube ich, du hast etwas mit einer anderen Frau angefangen. Wirklich, genau wie im Fernsehen!
Denk erst mal nach, ehe du anfängst, mir unbegründete Frustration vorzuwerfen. Ich habe mit mehr Leuten gesprochen, als ein Beset-zungsbüro in einem Monat zusammenbekäme: Dekane, Rektoren, Vizepräsidenten, Studenten, Dozentinnen und
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