Der Sturz - Erzählungen
eben krumm geworden, entgegnete D trocken.
Der Teeheilige gab die Liste der Ballerina, der, da sein Name offensichtlich nicht draufstand, sie sofort an das Denkmal weiterleitete. Das Denkmal starrte auf sie, las sie immer wieder, um endlich aufzuheulen: »Ich bin nicht darauf, ich bin nicht darauf. Nicht einmal liquidieren will mich das Schwein, mich, den alten Revolutionär!« N überflog die Liste. Sein Name stand nicht darauf. Er gab sie an den Chef der Jugendgruppen weiter. Der blasse Parteimensch stand verstört auf, als befände er sich in einem Examen, reinigte seine Brille. »Ich bin zum Generalstaatsanwalt ernannt worden«, stotterte er. Alle brachen in ein Gelächter aus. »Setz dich, Kleiner«, meinte die Wildsau gutmütig, und der Schuhputzer fügte bei, sie würden den braven Tugendbold der Jugendgruppen nicht auffressen. P
setzte sich wieder und reichte das Papier, wobei seine Hand schlotterte, über den Tisch zur Parteimuse hinüber. »Ich stehe darauf«, sagte sie und schob die Liste dem älteren Gin-gis-Khan zu, der aber vor sich hindöste, so daß sie der jüngere zu sich nahm. »Marschall K steht nicht darauf«, sagte er, »aber ich stehe darauf« und gab das Papier dem Schuhputzer. »Ich auch«, sagte dieser, und dasselbe sagte die Wildsau. Als letzter erhielt der Eunuch die Liste. »Nicht darauf«, sagte der Außenminister und schob die Liste wieder der Staatstante zu. Der Chef der Geheimpolizei faltete das Papier sorgfältig zusammen und verschloß es in seiner Aktentasche. O sei tatsächlich nicht auf der Liste, bestätigte Lord Evergreen. Warum er dann von A verhaftet worden sei, wunderte sich die Ballerina und blickte 49
mißtrauisch zur Staatstante. Der entgegnete, er habe keine Ahnung; daß der Atomminister erkrankt sei, habe er bloß angenommen, doch A pflege nach eigenem Gutdünken vorzu-gehen. »Ich ließ O nicht verhaften«, sagte A. »Erzähl keine Märchen«, schnauzte ihn der jüngere Gin-gis-Khan an, »sonst wäre er hier.« Alle schwiegen, A zog ruhig an seiner Dunhill.
»Wir können nicht mehr zurück«, meinte die Parteimuse trocken, die Liste sei eine Tatsache. Sie sei nur für den Notfall aufgestellt worden, erklärte A, ohne sich zu verteidigen. Er rauchte gemütlich, als gehe es nicht um sein Leben, und fügte bei, die Liste sei aufgestellt worden für den Fall, daß sich das Politische Sekretariat seiner Selbstauflösung widersetze. »Der Fall ist eingetreten«, entgegnete der Teeheilige trocken, »es widersetzt sich.« Der Eunuch lachte. Der Schuhputzer kam wieder mit einem Bauernspruch, der Blitz schlage auch beim reichsten Bauern ein. Die Wildsau fragte, ob sich jemand freiwillig melde. Alle schauten zum Denkmal. Das Denkmal erhob sich. »Ihr erwartet, daß ich den Kerl umbringe«, sagte er.
»Du brauchst ihn nur ans Fenster zu knüpfen«, antwortete die Wildsau. »Ich bin kein Henker wie ihr«, antwortete das Denkmal, »ich bin ein ehrlicher Schmied und erledige das auf meine Weise.« Das Denkmal nahm seinen Sessel und stellte ihn zwischen das freie Tischende und das Fenster. »Komm, A!«
befahl das Denkmal ruhig. A erhob sich. Er wirkte, wie immer, gelassen und sicher. Während er gegen das untere Tischende zuging, wurde er vom Teeheiligen behindert, der seinen Sessel gegen die hinter ihm befindliche Türe gelehnt hatte. »Pardon!«
sagte A, »ich glaube, ich muß hier durch.« Der Teeheilige rückte zum Tisch, ließ A passieren, der nun zum Denkmal gelangte. »Setz dich«, sagte das Denkmal. A gehorchte. »Gib mir deinen Gürtel, Staatspräsident«, befahl das Denkmal. Gin-gis-Khan der Ältere kam dem Befehl mechanisch nach, ohne zu begreifen, was das Denkmal im Sinne hatte. Die ändern starrten schweigend vor sich hin, schauten nicht einmal zu. N
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dachte an den letzten Staatsakt, bei welchem sich das Politische Sekretariat der Öffentlichkeit gezeigt hatte. Im tiefen Winter.
Sie beerdigten den ›Unbestechlichen‹, einen der letzten großen Revolutionäre. Der Unbestechliche nahm nach dem Sturz des Denkmals das Amt des Parteichefs ein. Dann fiel er in Ungnade. Die Wildsau verdrängte ihn. Doch machte A dem Unbestechlichen nicht den Prozeß wie den anderen. Sein Sturz war grausamer. A ließ ihn für geisteskrank erklären und in eine Irrenanstalt einliefern, wo ihn die Ärzte während Jahren dahin-dämmern ließen, bevor er sterben durfte. Um so feierlicher fiel denn auch das Staatsbegräbnis aus. Das Politische Sekretariat, ausgenommen die Parteimuse,
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