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Der Sturz - Erzählungen

Der Sturz - Erzählungen

Titel: Der Sturz - Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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erhalten werden; für einen Verwaltungsapparat vermag sich kein Volk zu begeistern, um so weniger, als auch die Partei der Bürokratie zum Opfer gefallen war. In A erhielt die unpersönliche Maschinerie der Macht ein Gesicht, doch begnügte sich der große Boss nicht damit zu repräsentieren, er begann im Namen der Revolution die Revolutionäre zu vernichten. So kamen denn von der 44

    alten Garde alle unter die Räder – der Staatspräsident K und L
    ausgenommen –, aber nicht nur die Helden der Revolution, auch jene, die nach ihnen zur Macht aufgestiegen und ins Politische Sekretariat aufgerückt waren, wurden nach einiger Zeit liquidiert, sogar die Chefs der Geheimpolizei wechselten, die A für diese Säuberungen brauchte, auch sie entgingen nicht dem Henker. Gerade darum war A populär. Dem Volk ging es trist, oft fehlte das Nötigste, die Kleider, die Schuhe waren von erbärmlicher Qualität, die alten Wohnungen zerfielen, die Neubauten ebenfalls. Vor den Lebensmittelläden standen Schlangen. Der Alltag war grau. Demgegenüber genossen die Funktionäre der Partei Privilegien, über die phantastische Berichte umliefen. Sie besaßen Villen, Wagen, Chauffeure, kauften in Läden, die nur für sie bestimmt waren und worin jeder Luxusartikel zu erstehen war. Nur eines fehlte, die Sicherheit. Mächtig sein war gefährlich. Blieb das Volk im allgemeinen unbehelligt, da es, apathisch in seiner Misere und in seiner Machtlosigkeit, nichts zu verlieren hatte, weil es nichts besaß, lebten die Privilegierten in der Furcht, alles zu verlieren, weil sie alles besaßen. Das Volk sah die Mächtigen durch A’s Gnade aufsteigen und durch A’s Zorn fallen. Es nahm als Zuschauer teil am blutigen Schauspiel, das ihm die Politik bot. Nie erfolgte der Sturz eines Mächtigen ohne öffentliches Gericht, ohne ein erhabenes Schauspiel, ohne daß sich die Gerechtigkeit mit Pomp in Szene setzte, ohne ein feierliches Sichschuldigbekennen der Angeklagten. Es waren für die Massen Verbrecher, die hinge-richtet wurden, Saboteure, Verräter; die Armut des Volkes war ihr Fehler und nicht jener des Systems, und ihr Untergang erweckte eine neue Hoffnung auf eine immer wieder versprochene bessere Zukunft, erweckte den Anschein, als ob die Revolution weiterginge, weise gelenkt vom großen, gütigen, genialen und doch immer wieder hintergangenen Staatsmanne A.

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    Zum ersten Male wurde auch N die politische Maschinerie durchschaubar, an deren Hebeln A saß und die von ihm bestimmt wurde. Die Maschinerie war nur scheinbar kompliziert, in Wirklichkeit denkbar einfach. Seine Gewaltherrschaft vermochte A nur aufrechtzuerhalten, wenn sich die Mitglieder des Politischen Sekretariats bekämpften. Dieser Kampf war für A die Voraussetzung seiner Macht. Bloß die Furcht trieb einen jeden dazu, sich die Gunst A’s zu erhalten, indem er andere denunzierte. So standen Gruppierungen, wie die um D, welche an der Macht bleiben wollten, immer Formationen gegenüber, wie denen um G, welche die Revolution vorwärtszutreiben trachteten, wobei A’s ideologische Haltung so undurchsichtig war, daß beide Parteien glaubten, in seinem Namen zu handeln.
    A’s Taktik war brutal, doch gerade dadurch mit der Zeit nachlässig geworden. Er spielte den Revolutionär bloß, wenn es ihm vorteilhaft schien, ihn interessierte nur seine Macht, er herrschte, indem er alle gegeneinander ausspielte, aber er hielt sich selbst für gesichert. Er vergaß, daß er es im Politischen Sekretariat nicht mehr mit überzeugten Revolutionären zu tun hatte, die sich oft in den Schauprozessen bloß schuldig erklärten, um lieber ihr Leben als ihren Glauben an den Sinn der Revolution zu verlieren. Er vergaß, daß er sich mit Machtmen-schen umgeben hatte, denen die Ideologie der Partei nur noch ein Mittel war, Karriere zu machen. Er vergaß, daß er sich isoliert hatte, denn die Furcht entzweit nicht nur. Die Furcht schweißt auch zusammen, ein Gesetz, das A nun zum Verhängnis wurde. Er war plötzlich hilflos wie ein Amateur geworden, der lauter Professionellen der Macht gegenüberstand. Indem er das Politische Sekretariat aufzuheben versuchte, um noch mächtiger zu werden, bedrohte er alle, indem er den Sicherheitsminister angriff und ihm vorwarf, O verhaftet zu haben, schuf er sich wieder einen neuen Feind. A hatte den Instinkt verloren, womit er geherrscht hatte, die Maschinerie seiner Machtausübung wandte sich nun gegen ihn. Auch rächte 46

    sich nun seine Maßlosigkeit und damit

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