Der Sucher (German Edition)
Er schwebte zum Gebüsch, in dem ich hockte, und landete elegant auf einem umgestürzten Baum.
Froh, aber auch leicht vorwurfsvoll blickte er mich an – er konnte sich nicht vorstellen, wo ich so lange gewesen war und warum ich dreckig und stinkend wie ein Stück totes Tier wieder zum Vorschein kam.
»Ging leider nicht anders«, sagte ich ihm. »Kannst du Joelle und Merwyn für mich finden und zu mir bringen? Und du könntest bei der Gelegenheit gleich Ausschau nach Soldaten halten.«
Ja, gerne , dachte er zurück und flog gleich los.
Inzwischen war Mi‘raela aufgewacht. Erstaunlich schnell schüttelte sie die Benommenheit ab. Ich werde ihren Blick nie vergessen – den Blick, als ihr klar wurde, dass sie sich außerhalb der Burg befand, dass ihr Leben wieder ihr gehörte. Die Mühe, sie durch den Tunnel zu schleifen, hatte sich mehr als gelohnt, und ich ärgerte mich nur darüber, dass wir nicht noch mehr Halbmenschen hatten befreien können.
Wachsam begannen Mi‘raela, Jini und ich, uns in Richtung der Berge vorzuarbeiten, immer im Schatten der Bäume, in der Deckung eines Gebüschs. Ob die Kerkermeister inzwischen bemerkt hatten, dass meine angebliche Leiche verschwunden war? Sobald ihnen klar würde, dass ich sie ausgetrickst hatte, würden sie Alarm schlagen und die ganze Umgebung durchkämmen. Bisher sah mein Ska noch nicht ungewöhnlich viele Soldaten, und keine in unserer Nähe. Dafür entdeckte er meine Gefährten.
Kurz darauf tauchten Merwyn und Joelle zwischen den Bäumen auf. Als sie mich sahen, blieben sie erschrocken stehen. Dann rannten sie auf mich zu. Joelle schloss mich in die Arme, hielt mich ganz fest. In ihren Augen standen Tränen. »Diese gemeinen Baumratten! Du siehst ja halb tot aus!«
»Zum Glück denken sie gerade, dass ich ganz tot bin«, erwiderte ich und küsste sie ausgiebig. Hundertmal hatte ich mir dieses Wiedersehen mit ihr ausgemalt, und es war in Wirklichkeit fast so gut wie in meiner Fantasie. »Ich muss zurück nach Vanamee – auf dem schnellsten Weg! Am besten über die Berge. Wir müssen sofort los.«
Merwyn wühlte in seinem Gepäck, holte eine frische Tunika, einen Beutel Wasser und Verbandszeug heraus. Ich schüttelte den Kopf. »Später ...«
Aber er sagte: »Wenn du Wundfieber kriegst, kommst du nicht weit. Also halt still.«
Vorsichtig wischte Joelle mir mit einem feuchten Lappen das getrocknete Blut aus dem Gesicht. »Was ist überhaupt passiert? Ein Hirschmensch hat uns eine völlig wirre Geschichte von irgendeiner Quelle erzählt ...«
»Die größtenteils stimmt, fürchte ich.« Vorsichtig, mit schmerzverzogenem Gesicht, wickelte ich den Verband von meiner linken Hand. Es war schwer, Merwyns und Joelles schockierte Blicke zu ertragen – und als ich von der Zeit im Kerker berichten wollte, merkte ich, dass ich es nicht konnte. Jedes Mal, wenn ich es versuchte, war meine Kehle wie zugeschnürt.
Sie drängten mich nicht.
»Vielleicht schaffen wir es über den Harkoon-Pass, bis es dunkel wird«, sagte Merwyn und ging voran. Ich war froh über seine nüchterne Art. Er stellte keine überflüssigen Fragen, sondern half und handelte einfach.
Jini hatte sich im Hintergrund gehalten, sie blieb dicht neben Mi‘raela. Erst jetzt schenkten meine Reisegefährten den beiden Beachtung. Scheu stellte Jini sich und die Katzenfrau vor und erklärte, warum sie ebenfalls geflohen waren.
Neugierig wartete ich ab, ob Joelle ihre Schwester nach so vielen Wintern erkennen würde. Doch Joelle warf den beiden anderen Flüchtlingen nur einen kurzen Blick zu und konzentrierte sich sofort wieder auf mich. Also sagte ich: »Jini ist nicht ihr richtiger Name, sie weiß wenig über ihre Herkunft. Aber sehr wahrscheinlich gehört sie zur Wasser-Gilde.«
Joelle stutzte, musterte das Mädchen aus der Burg noch einmal genauer – und diesmal sah ich in ihren Augen ungläubiges Staunen. Vorsichtig näherte sie sich Jini, Schritt für Schritt, und ergriff ihre Hände.
Jini ließ die Augen nicht von Joelles Gesicht, schien wie erstarrt. »Ich kenne dich«, sagte sie schließlich stirnrunzelnd. »Stimmt es, was Tjeri erzählt hat ... dass du meine Schwester bist?«
Joelle brach in Tränen aus und zog ihre Schwester – Ynea, nie wieder Jini! – an sich. Schließlich wandte sie sich an mich. »Du hast sie für mich gefunden. Das werde ich dir nie vergessen, Tjeri.«
Verlegen winkte ich ab. »Pures Glück. Eigentlich hat eher sie mich gefunden.«
»Keine Zeit für lange
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