Der Sucher (German Edition)
Erklärungen«, unterbrach uns Merwyn. »Wir müssen los in die Berge. Sie werden bald merken, dass ihnen Tjeri entkommen ist.«
Als wir uns den steilen Bergpfad hocharbeiteten, vor uns ein noch viel steileres Geröllfeld, wurde mir klar, dass ich vielleicht zu geschwächt und verletzt war, um diese Flucht durchzustehen. Ich musste Joelle und Merwyn von der Schale erzählen, damit einer von ihnen sie zum Rat brachte, falls ich es nicht mehr könnte. Und ich musste sie vor der Schale warnen. Aber dazu musste ich die Geheimhaltung brechen.
War das vielleicht mein nächster großer Fehler? Würde die Versuchung für Merwyn zu groß sein? Wenn ich nicht durchhielt, lag es in seiner Hand, sich als Finder der Schale feiern zu lassen und aller Welt von ihrem Geheimnis zu erzählen. Aber dann dachte ich: Und wenn schon! Alles, was zählte, war, dass dieses schreckliche Ding an einen sicheren Ort gelangte, zu jemandem, der es kontrollieren konnte ...
Also brach ich das Versprechen, das ich Ujuna gegeben hatte, und erzählte ihnen von der Schale, als wir alle im Schatten eines Felsens verschnauften. Joelles Hand in meiner, ihr warmer Körper ganz nah.
»Du hast die ganze Zeit nach dieser Schale gesucht?« Joelle konnte es kaum glauben. »Aber wieso ist sie denn so wichtig?«
»Das weiß ich auch nicht«, sagte ich erschöpft. »Ich weiß nur, dass sie gefährlich ist. Ich habe zwei Leute damit getötet, ohne es zu wollen. Das Ding hat irgendein schlimmes Geheimnis ... Ich glaube, irgendein bösartiges Wesen haust darin ...«
»Böse, ja, böse«, maunzte Mi‘raela düster.
»Zeig sie uns«, forderte Merwyn mich auf. Mir wurde mulmig zumute, als ich seine glänzenden Augen sah. Aber nun konnte ich nicht mehr zurück. Ich holte die Schale hervor und wickelte sie vorsichtig aus dem dreckigen Stoff.
Ganz genau nahmen Joelle, Ynea und Merwyn sie in Augenschein, ohne sie zu berühren. »Ist das ein T auf dem Boden von dem Ding?«, fragte Joelle fasziniert. »Vielleicht steht es für Targon.«
Ein Schauder überlief mich. Targon. Der siebte Gott der Tiefe. »Udiko hat mir mal was über ihn erzählt. Aber ich erinnere mich nur noch dunkel daran.«
»Vor ein paar Hundert Wintern wurden ihm noch Menschen geopfert«, erklärte Joelle. »Sie wurden per Los ausgesucht und mit silbernen Ketten gefesselt von einer Klippe gestürzt, dort, wo es weit in die Tiefe geht. Schließlich ist es Rivas Tan gelungen, Targon in einen Gegenstand zu bannen und Vanamee damit von ihm zu erlösen. Er war ein Nachfahre des Sturmläufers und besonders stark magisch begabt.«
Wir blickten auf die Schale, und plötzlich war ich sicher, dass Joelle Recht hatte. Was wir vor uns hatten, war der gefangene Targon. Ich bekam eine Gänsehaut bei dem Gedanken, dass ich ihn beinahe auf die Welt losgelassen hätte.
Merwyn runzelte die Stirn. »Warum haben die Leute in Vanamee sich nicht gewehrt? Gegen die Opfer?«
»Ein paar Mal wurde ihm das Opfer verweigert, sagt man, und er ist aus der Tiefe hochgekommen und hat als Gestalt aus Wasser und Nebel furchtbare Rache genommen.« Joelles Stimme war leise geworden. »In einer Legende heißt es, er sei ein mächtiges Werkzeug des Rates gewesen, aber alle hätten Angst vor Targons Wut gehabt.«
»Werkzeug klingt vielversprechend. Wenn wir Targon auf unserer Seite haben – wieso haben wir überhaupt noch Angst vor irgendwelchen Verfolgern?« Neugierig streckte Merwyn die Hand nach der Schale aus.
Ich schlug sie ihm weg. » Denk nicht einmal daran! Wir werden nicht versuchen, ihn zu benutzen. Verdammt, hast du mir gar nicht zugehört? Targon ist nicht auf unserer Seite! Er würde uns alle töten, wenn wir versuchten, ihn einzusetzen!«
Ernüchtert zog Merwyn die Hand zurück.
Ich atmete schwer. »Ich habe euch von der Sache erzählt, weil ihr mir helfen müsst, die Schale zum Rat zu bringen. Einer von uns muss durchkommen, hört ihr? Einer von uns muss sie in die Obhut unserer Gilde bringen. Sie darf nicht in die Hände der Regentin und ihrer Leute fallen.«
Alle nickten. Ich sah, dass sie nun verstanden, wie ernst die Sache war.
Ich wickelte die Schale wieder ein und verstaute sie – so, dass die anderen es sehen konnten – in einer Innentasche meiner neuen Tunika.
Wir machten uns wieder auf den Weg, kletterten über den steilen Pfad in die Berge hinein. Ich versuchte auszublenden, wie weh meine Hand tat, wie schlecht ich mich fühlte. Wie damals in der Wüste von Tassos zwang mich einfach vorwärts. Über
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