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Der Sucher (German Edition)

Der Sucher (German Edition)

Titel: Der Sucher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Brandis
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merkte, dass es Jini und Lilienmann genauso ging. Doch Lilienmann packte Jini am Arm, hielt sie zurück. »Nein«, sagte er. »Hast du nicht gehört, worum er uns gebeten hat? Die Kerle da haben Armbrüste, die erschießen uns einfach, wenn wir versuchen, ihm zu helfen.«
    »Beim Nordwind, du kannst ihn doch nicht einfach im Stich lassen!«, brüllte Jini zurück.
    Lilienmann warf einen letzten Blick über die Schulter. »Wir müssen die Schale in Sicherheit bringen. Willst du, dass es noch mehr Tote gibt? Willst du, dass Joelle umsonst gestorben ist?«
    Auch Mi‘raela konnte sich nicht rühren. Sollte sie zu Jederfreund laufen, einem Bruder, ohne den sie nie hätte fliehen können? Oder sollte sie bei Jini bleiben, die ihre Freundin war? Diese Wahl zerriss sie fast. Sie legte den Kopf zurück, stieß einen schrillen Laut aus, Verzweiflung und Trauer zugleich.
    Jederfreund lag auf dem Pfad, ohne sich zu rühren. War er tot? Oder nur besinnungslos?
    Die Dörflinge hoben ihn auf eine Trage, banden ihn darauf fest. Dann machten sie sich auf den Weg zurück zur Burg. Mit brennenden Augen beobachtete Jini sie. Lilienmann hatte sich abgewandt und marschierte mit festen Schritten zum Pass hoch, verschwand aus ihrem Blickfeld. Schließlich folgte ihm Jini zögernd. Wie schon oft an diesem Tag zogen Tränen helle Spuren über ihr Gesicht. Seit ihre Schwester über die Bergflanke gestürzt war, schien es vorbei mit dem Frieden ihrer Seele.
    Mi‘raela blieb, wo sie war. Auch ich darf ihm nicht helfen , dachte sie. Ich muss Lilienmann und Jini sicher über die Berge geleiten!
    Sie beobachtete die Dörflinge, bis sie außer Sicht gerieten. Dann drehte sie sich um und rannte den anderen nach. Kurz darauf erreichten sie die Brüder, die gekommen waren, um zu helfen. Hunderte anderer Katzenmenschen um sie herum, genauso viele Iltisse, und über ihr die Luft voller schwarz-weißer Schwingen, so zahlreich hatten die Storchenmenschen sich eingefunden. Mi‘raela wurde herzlich begrüßt, doch der Jubel über ihre Flucht war dünn und kurz. Dann hagelte es Vorwürfe.
    »Warum hast du Jederfreund im Stich gelassen, Schwester? Wie konntest du das tun? Er ist ein Bruder, ein Bruder!«
    »Ich musste es tun«, wiederholte Mi‘raela wieder und wieder. Sie hoffte von ganzem Herzen, dass Großfrau Jederfreund nicht töten lassen würde.
    Der Rest der Reise ins Seenland verlief ohne Probleme. Lilienmann führte sie auf sicheren Wegen über die Berge, er schien immer genau zu wissen, wo sie sich befanden und wohin sie gehen mussten. Jini war niedergedrückt und sprach wenig.
    Nach und nach schwand Mi‘raelas Kummer, sie fühlte sich wie im Rausch. Der offene Himmel über ihr! Kühle klare Luft, die den Gestank der Burg aus ihrer Nase wusch! Der Gedanke an ihre Kinder, der zum ersten Mal nicht schmerzte!
    Als sie das schimmernde Wasser von Vanamee unter sich erblickten, den Abstieg begannen, verabschiedete sie sich von ihren menschlichen Freunden, um nach Alaak abzubiegen.
    »Pass auf dich auf, Mi‘raela«, sagte Jini und umarmte sie, grub ihr Gesicht in ihr Fell. »Hoffentlich sehen wir uns irgendwann mal wieder. Ich wünsche dir und deiner Familie alles Glück der Welt!«
    »Ich dir auch«, erwiderte Mi‘raela traurig. »Großviel vermissen werde ich dich, Menschenwelpin! Möge dein Weg nie wieder in die Felsenburg führen.«
    * * *
     
    Als ich erwachte, lag ich in einem weichen, einem sehr weichen Bett. Instinktiv versuchte ich, nicht zu verraten, dass ich wach war, und lauschte mit allen Sinnen. Meine Hand tastete über Seidendecken, und das Bett war so breit, dass ich an die Kante nicht mal herankam. Es war sehr still, ich hörte nur das Flattern eines Vorhangs und das Zirpen einer Bergzarah in der Entfernung. Ein leichter Wind strich über meine bloße Haut, die Luft roch frisch und mit Blumenessenz parfümiert.
    Wo, beim Brackwasser, war ich hier? Hatte ich den Kampf mit Targon, das blutige Finale auf dem Gipfel, nur geträumt? Nein, das konnte nicht sein, sonst hätte mir nicht alles wehgetan. Mein Körper fühlte sich an wie am Tag, nachdem ich und Jarco uns über den Wasserfall hatten spülen lassen.
    Ich öffnete die Augen. Verdutzt blickte ich auf einen Vorhang aus mit Mustern besticktem Goldstoff, der wahrscheinlich mehr wert war, als ich in meinem Leben jemals verdienen konnte. Dahinter erkannte ich ein Stück Himmel. Ich war zurück in der Felsenburg. Und zwar nicht gerade bei den Dienern.
    Mühsam stützte ich mich auf einen

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