Der Sucher (German Edition)
würde viel lieber die Zeruda spielen lernen.«
»Warum machst du es nicht? Tust du immer, was dein Vater dir sagt?«
Erstaunt sah sie mich an. »Ja, natürlich. So gut wie immer.«
Außer, wenn es darum geht, Jungen im Kerker zu versorgen oder auf der Flucht bei sich zu verstecken , dachte ich amüsiert. Aber wahrscheinlich war ihr Vater nie auf die Idee gekommen, dass er ihr so etwas verbieten müsste. Mehr zu mir selbst sagte ich: »Wenn ich das gemacht hätte, was mein Vater wollte, dann wäre ich jetzt Fischzüchter und würde ihm auf seiner Farm in Vanamee helfen.«
»Wenn ich das tue, was mein Vater sagt, werde ich Regentin«, erwiderte sie.
Jemand kam herein, eine alte Frau in der schlichten Tracht einer Dienerin. Sie wirkte nervös, hatte sie etwa Angst? Mit einer Verneigung reichte sie uns ein Tablett mit duftender Waldkräutersuppe und geröstetem Brot. Doch Hetta runzelte die Stirn. »Ich habe doch gesagt, etwas Kräftiges. Nimm das wieder mit, das ist nicht das Richtige! Und mach schnell, sonst sind dir Hiebe sicher!«
In diesem kurzen Moment verlor sie jede Sympathie, die ich für sie gehabt hatte.
Als die Dienerin verschwunden war, stand ich auf und wandte mich Hetta zu. »Hör zu«, sagte ich, und es klang schroffer, als ich eigentlich wollte. »Vielleicht sollten wir mit offenen Karten spielen. Mein Herz ist schon vergeben. Und wenn ich meine Freiheit hätte, würde ich nicht in der Burg bleiben, sondern nach Vanamee zurückgehen und als Sucher arbeiten. Es tut mir Leid.«
Hetta wandte sich ab. Als sie sprach, klang ihre Stimme flach und leblos. »Ach, so ist das. Na, wenigstens bist du ehrlich. Nicht gerade das, was man von einem Agenten erwarten würde.«
In diesem Moment wusste ich, dass sie mich für das, was ich gesagt hatte, bitter büßen lassen würde. Ich verbeugte mich leicht, drehte mich um und ging.
Dreißig Schritte weit kam ich, bevor mich ihre Farak-Alit abfingen.
Diesmal wurde ich deutlich strenger bewacht als das letzte Mal. Sie hatten dazugelernt. Noch einmal sollte ich ihnen nicht entwischen können. Dafür verhörten sie mich nicht mehr – vielleicht, weil Cyprio nicht mehr lebte und Hetta so weit nicht gehen wollte, vielleicht, weil meine Gilde nun Druck auf sie ausübte. Hätten sie mich befragt, ich hätte ihnen die Geschichte der Schale wahrscheinlich nicht verschweigen können. Sie hätten alles erfahren, was sich im Gebirge wirklich abgespielt hatte, dass es keine Naturkatastrophe gewesen war, die über sie hereingebrochen war. Immerhin – Merwyn, Ynea und Mi‘raela schienen davongekommen zu sein. Ich konnte nur hoffen, dass sie weise genug gewesen waren, Targons Schale wegzubringen, weit weg.
Doch auch ohne die Folter und trotz der Hilfe der Halbmenschen war es im Kerker – in Einzelhaft – schlimm genug. Gerade für einen Menschen wie mich, der das Lachen braucht, den Austausch mit anderen, den offenen Himmel. Als aus Tagen Wochen und aus den Wochen Monaten wurden, fühlte ich mich immer verzweifelter. War meine Strafe, dass ich das Seenland nie wiedersehen durfte?
Ich träumte mich hinaus aus der Zelle, zu den Menschen und Orten, die ich liebte. Ständig dachte ich an Joelle, durchlebte in der Erinnerung noch einmal jeden schönen Moment mit ihr. Dann wieder sah ich ihr entsetztes Gesicht vor mir, als das Felsstück sich gelöst hatte und sie in den Abgrund gestürzt war. Rastlos ging ich auf und ab, versuchte, die Bilder aus meinem Kopf zu verscheuchen. Nur sehr langsam ließ die Trauer etwas nach, fand ich mich damit ab, dass ich Joelle nie wiedersehen, dass diese Zeit niemals zurückkommen würde.
Das Schneehörnchen spürte, wie es mir ging, und versuchte mich aufzuheitern. Es hatte den Winter über draußen im Weißen Wald gelebt, eine Familie aufgezogen und mich nur hin und wieder besucht. Aber in letzter Zeit kam es oft in meine Zelle und brachte sogar ab und zu seine Jungen mit – drei Racker, die völlig respektlos auf mir herumkletterten.
Lange, sehr, sehr lange dauerte es, bis eines Abends Cchrando mit einer aufregenden Nachricht kam. »Die alte Regentin«, sagte er. »Sie liegt im Sterben, Bruder. Nicht nur krank diesmal. Sie wird keine drei Tage mehr leben, wenn du mich fragst.« Er grinste plötzlich, seine Fangzähne blitzten. »Jetzt können deine Freunde endlich etwas für dich tun, endlich. Ich wollte es dir nicht sagen, aber der Plan ist schon lange fertig. Die alte Regentin hätte dich nicht gehen lassen, wegen der Quelle , Bruder,
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