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Der Sucher (German Edition)

Der Sucher (German Edition)

Titel: Der Sucher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Brandis
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Ellenbogen. Niemand außer mir war im Zimmer. Ich trug nur eine kurze Nachthose und ein paar frische Verbände. Auf einem Hocker neben dem Bett lag Kleidung. Nicht Merwyns grob gewebte Ersatztunika, die der Alestair-Berg in einen dreckverkrusteten Lappen verwandelt hatte, sondern eine dunkelblaue, mit Silberfäden bestickte.
    Vorsichtig kroch ich aus dem Bett und setzte mich auf die Kante, stützte den Kopf in die Hände. Was war geschehen, nachdem die Leute der Felsenburg mich zum zweiten Mal erwischt hatten? War die Schale in Sicherheit? Die schrecklichen Bilder von Targons Ausbruch kehrten zurück, und der Gedanke, dass Joelle tot war, traf mich wie der Schlag eines Schmiedehammers. Ich stützte den Kopf in die Hände und weinte, wie ich es seit dem Tag, als meine Mutter gestorben war, nicht mehr getan hatte.
    Als meine Tränen schließlich versiegten, fühlte ich mich ausgehöhlt und elend. Teilnahmslos lag ich auf dem Bett, bis ich mich schließlich dazu aufraffen konnte, mich anzuziehen. Mühsam streifte ich mir die Hosen über – kaum hatte ich sie zugeschnürt, öffnete sich die Tür, jemand kam herein. Verlegen griff ich nach dem Oberteil der Tunika ...
    ... und sah mich Hetta gegenüber, dem Mädchen, das wahrscheinlich Regentin werden würde. Ich war so verblüfft, dass ich die Tunika sinken ließ und sie anstarrte. Sie? Hatte sie mich etwa herbringen lassen?
    »Wie geht es dir?«, fragte sie und lief rot an. Wahrscheinlich liefen junge Männer in ihrer Gegenwart normalerweise nicht halb nackt herum.
    »Äh, geht so«, brachte ich irgendwie heraus.
    »Ich kann etwas zu essen holen lassen, wenn du möchtest.« Sie hatte eine hohe, etwas schrille Stimme.
    »Ja, das wäre nett.«
    Während sie kurz nach draußen ging und mit jemandem flüsterte, zog ich mir die Tunika fertig an und setzte mich wieder aufs Bett. Warum tat sie das alles für mich? Ich hatte keine drei Sätze mit ihr gewechselt, seit ich in der Burg war. »Sag mal, warst du das etwa, die mir die Sachen in den Kerker geschickt hat – die Früchte und so?«, fragte ich sie.
    Sie lächelte stolz. »Ich musste zwei der Wachen dafür bestechen. Sie haben auch dafür gesorgt, dass du nach der Sache auf dem Berg hergebracht worden bist. Es war ein schlimmer Felsrutsch, nicht wahr? Sogar der obere Teil der Burg ist beschädigt worden.«
    »Ja, ja, ein Felsrutsch«, sagte ich.
    Zum ersten Mal schaute ich sie mir genauer an. Sie hatte helle, fast weiße Haut und rotblonde Haare, die sie mit Silberspangen hochgesteckt hatte. Bisher hatte sie auf mich kühl gewirkt, aber als sie mir zulächelte, sah sie nicht mehr kühl aus. Vielleicht war das nur eine Schutzschicht gewesen, eine Tarnung für das Leben am Hof.
    »Danke – für alles«, sagte ich einfach. »Weiß dein Vater eigentlich, dass ich hier bin?«
    »Nein. Aber ich muss es ihm sagen. Sonst kannst du nicht hier in der Burg leben, mit uns.« Ihr Gesicht lief noch röter an, und sie beschäftigte sich damit, die Sonnenuhr auf einem Tisch zurechtzurücken. »Aber keine Sorge, er wird es bestimmt akzeptieren, wenn ich sage, dass ich es so will.«
    In der Burg leben?! Das konnte ich nicht. Nicht nach dem, was ich in den Kerkern hatte durchstehen müssen. Keinen Moment länger als nötig würde ich hierbleiben. Und wieso wollte sie überhaupt, dass ich hier wohnte?
    Mir kam ein Verdacht. Gefiel ich ihr etwa? Sorgfältig durchsiebte ich meine Erinnerung, dachte an die Momente zurück, in denen ich ihr begegnet war. Und ärgerte mich darüber, dass ich nicht früher gemerkt hatte, was los war. Oh, verdammt. Ich würde ihr schonend beibringen müssen, dass aus uns beiden nichts werden würde, dass mein Herz schon vergeben war. Solange ich noch um mein Mädchen trauerte, war allein der Gedanke an einen Flirt unerträglich. Doch es würde mir schwerfallen, Hetta das zu sagen. Ich wusste gut, wie es sich anfühlte, zu lieben und nicht zurückgeliebt zu werden. Und ohne ihre Hilfe wäre ich nicht in einem weichen Bett aufgewacht, sondern im Kerker.
    Ich ließ mir nichts von dem anmerken, was mir im Kopf herumging. »Ich weiß gar nichts über dich«, meinte ich. »Bist du hier in der Burg aufgewachsen? Was machst du gerne?«
    »Als ich mit meinem Vater hierhergekommen bin, war ich gerade mal so groß.« Sie deutete Kniehöhe an. »Mein Vater wollte, dass ich den ganzen Tag Schriftrollen studiere und so viel über Daresh erfahre, wie ich kann. Also habe ich das gemacht. Aber es ist ziemlich langweilig. Ich

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