Der Sucher (German Edition)
genauso knurrig, und ich stellte weiterhin unverschämte Fragen, wenn mir danach zu Mute war. Doch die Sache mit Lourenca hatte etwas zwischen uns verändert. Mir wurde dadurch klar, wie sehr er mich mochte. Es hätte ihn keine drei Atemzüge und einen Fluch gekostet, unsere Muschel zu zerbrechen und mich als misslungenes Experiment abzuschreiben. Stattdessen hatte er mir ein Stück seines Lebens geschenkt. Er wiederum wusste nun endgültig, was die Lehre bei ihm mir bedeutete.
Wir hatten keine Geheimnisse mehr voreinander, und das war gut so.
Von diesem Zeitpunkt an machte ich rasante Fortschritte. Ich war wie Udiko damals – besessen. So muss sich ein Vogel fühlen, der zum ersten Mal seine Schwingen ausbreitet und die Kraft zu fliegen in sich spürt. Udiko merkte es und gab mir immer schwierigere Aufgaben. Sicher auch, um mich von meinem Kummer abzulenken.
Er zeigte mir die Geheimnisse der Riesentangwälder, der Blutseen und der berühmt-berüchtigten Süßwasser-Riffe von Celican. Alleine hatte ich mich nie dorthin getraut, denn an diesen Orten gab es Wesen, die einen schneller töten konnten, als man zu blinzeln vermochte. Und natürlich übernahmen wir zahllose Suchen: Udiko und ich halfen einem Resteräumer, der sich von einem Heer Kampfkrabben überall hin begleiten ließ, seine Ehre wiederherzustellen; einem fetten Jägerfischverleiher, die Quelle seiner Albträume zu finden; einem Künstler, Glut aus einem unterseeischen Vulkan zu holen; und einem jungen Liebenden, die schwarze Perle zu finden, die seine Angebetete sich schon lange wünschte.
»Sag mal, Udiko – wenn du weißt, wo schwarze Perlen zu finden sind ... warum holst du dir dann nicht selber ein paar?«, fragte ich meinem Meister, als wir in einem heißen Schwefelsee lagen und uns von den Anstrengungen der Suche erholten.
»Wozu?«, fragte der Große Udiko zurück.
Ja, wozu? Er hatte längst alles, was er zum Leben brauchte.
Im Gegensatz zu mir. Ich tauchte noch einmal allein in die Unterwasserhöhlen der Riinanja, in denen wir fündig geworden waren, und holte vier Perlen hoch – eine für jede meiner Schwestern, eine für meine Oma, und eine für mich, als Glücksbringer.
»Stimmt es eigentlich, dass die Dinger Heilkräfte haben?«, fragte ich später, als ich ein Loch in die Perle bohrte und einen Silberfaden hindurchzog, um sie um den Hals tragen zu können.
»Schön wär‘s«, erwiderte Udiko. »Aber an deiner Stelle würde ich nicht drauf hoffen. Ich habe mal ein paar Winter lang eine getragen, und meine Rückenschmerzen waren schlimmer denn je.«
In den Höhlen zu tauchen, war schwierig, aber bei den meisten Aufträgen musste ich eher meinen Kopf als meine Schwimmkünste einsetzen. Außerdem brachte Udiko mir bei, durch die Augen von anderen zu sehen. Dazu musste ich in die Siedlung schwimmen und mir fünf Leute herauspicken. Jeden beobachtete ich so lange, bis ich mich in ihn hineindenken konnte. Erfüllt hatte ich die Aufgabe, wenn ich es bei jedem geschafft hatte vorauszusehen, was er als Nächstes tun würde.
Ich sollte früher Gelegenheit haben, diese neue Fähigkeit anzuwenden, als mir lieb war. Kurz nach meinem ersten Unterricht im Durch-andere-Augen-Sehen wurde Udiko zum Hohen Rat eingeladen; dort legte gerade ein neues Ratsmitglied, eine Frau namens Ujuna, ihren Eid ab. Angeblich stammte sie direkt vom Sturmläufer ab, dem mythischen Helden des Seenlands. Von Udiko als einer der wichtigen Persönlichkeiten von Vanamee wurde erwartet, dass er sich ihr persönlich vorstellte. »Darauf habe ich in etwa so viel Lust wie auf einen Ringkampf mit einer Raubqualle«, brummte er, als er seine weniger abgewetzte Ersatzschwimmhaut und seine besten Trockensachen heraussuchte. »Wahrscheinlich werde ich eine Woche lang weg sein. Schaffst du es, hier die Stellung zu halten?«
Ich war sauer darüber, dass er mich nicht mitnahm. Deshalb nickte ich schweigend und streichelte den Salamander, der sich in meine Halsbeuge schmiegte.
Udiko grinste. Natürlich wusste er, was ich dachte. »Nächstes Mal, in Ordnung?«, sagte er und verschwand durch den Eingang in den See.
Ich war noch nicht oft allein in unserer Wohnkuppel gewesen. Sie schien sehr still und leer zu sein ohne Udiko. Am nächsten Morgen blieb ich zum ersten Mal einfach auf meiner Seegrasmatte liegen, statt aufzustehen.
Erst, als die Sonne hoch am Himmel stand und Lichtlinien auf dem Boden der Kuppel tanzten, kroch ich aus dem Bett. Udiko hatte mir für die Zeit, die er
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