Der Sucher (German Edition)
weg war, keine Aufgaben gestellt. Genau genommen hatte ich zum ersten Mal frei, seit ich sein Lehrling geworden war.
Plötzlich wusste ich nichts mit mir anzufangen. Nicht mal Lust zu frühstücken hatte ich. Rauszuschwimmen lockte mich auch nicht, das Wetter war nicht besonders, es war kühl, und ein dicker Wolkenteppich begann aufzuziehen. Ich behielt meine Trockensachen an, lag auf dem Bett, gähnte und dachte mal wieder an Joelle. Ein gutes Zeichen; vielleicht bedeutete es, dass ich endlich über Lourenca hinweg war ...
Weil ich gerade nach oben starrte, sah ich durch die dünnen Wände, wie jemand mit nervösen Bewegungen zu unserer Kuppel heruntertauchte. Hm, das sah nach einem neuen Auftrag aus!
Es war eine Frau aus dem Dorf. »Ist Udiko da?«, keuchte sie. »Es ist dringend!«
»Nein, er ist beim Rat«, antwortete ich und blickte sie besorgt an. »Was ist denn passiert?«
»Eine Luft-Gilden-Familie hat uns um Hilfe gebeten ... Ihr acht Winter alter Sohn ist mit seinem besten Freund zu uns ins Seenland ausgerissen ... Sie haben eines der Kanus des Rats genommen ...«
»O je«, sagte ich. Weil der Rat wenig Interesse daran hatte, dass Fremde in die Provinz kamen, wurden diese an der Grenze vertäuten Kanus nicht gut gepflegt. Sie waren alle ziemlich morsch. »Können die beiden schwimmen?«
»Nicht besonders. Zuletzt sind sie heute Früh in der Gegend von Yanai gesichtet worden, aber inzwischen sind sie verschwunden. Das Kanu haben wir gefunden, aber es war leer. Wir schicken gerade Boten in alle Richtungen aus, damit alle Leute aus den umliegenden Siedlungen suchen helfen.«
»Brackwasser!« Ich merkte, dass mein Herzschlag sich beschleunigte. Das war ein schwieriger Auftrag – und ein lebenswichtiger. Ausgerechnet jetzt war Udiko nicht da! Beunruhigt blickten wir uns an.
»Moment«, sagte ich und rannte zurück, um meine Schwimmhaut anzuziehen und zwei Leuchtstäbe einzustecken. Dann tauchten wir hoch zur Oberfläche und schwammen gemeinsam Richtung Yanai, so schnell wir konnten. Das war der einzige Glücksfall bei der ganzen Sache: In Yanai kannte ich mich aus.
Stumpf und bleigrau wogten die Seen um uns herum, und die Inseln und Landbrücken wirkten wie die dunklen Rücken von Tieren, die sich ins Wasser duckten. Ab und zu fegte ein kalter Windstoß heran und peitschte die Wellen noch höher. Normalerweise hatte ich Spaß daran, mich von den Wogen tragen lassen – je höhere die Wellengöttin Kinona schickte, desto besser –, aber diesmal blickte ich beunruhigt zum Himmel, über den dunkle Wolken eilten. Hoffentlich würde es keinen Sturm geben. Dann hätten die beiden Jungs kaum noch eine Überlebenschance. Wenn sie überhaupt noch am Leben waren. Nachdem das Kanu leer gefunden worden war, waren sie vermutlich über Bord gefallen und ertrunken. Hätten sie doch nur die Inschrift an allen Grenzbrücken beachtet: Ihr betretet jetzt das Gebiet der Wasser-Gilde. Fremde, nehmt euch in Acht! Wer hier nicht hergehört, der wird bitter büßen!
Ich meldete mich beim Kommandanten von Yanai, um mich auf eine Position einteilen zu lassen. »Am besten gebt Ihr mir einen Abschnitt, in dem‘s tief ist – ich stamme aus Colaris«, erklärte ich hastig und erwähnte nicht, dass ich der Lehrling von Udiko war. Schließlich war ich das erst seit ein paar Monaten, Sucher konnte ich mich noch lange nicht nennen.
»Gut, dann hilfst du im westlichen Teil.« Besorgt blickte der Kommandant zum Himmel, und auf seinem Gesicht mischten sich Regen- und Seewasser.
Die Gegend wimmelte von Leuten, aus allen Siedlungen waren sie gekommen, um zu helfen – auch zwei Sucher waren dabei, die ich vom Sehen kannte. Leider verdienten sie ihren Lebensunterhalt fast nur damit, Händler zu Korallenbänken zu führen. Den Ehrgeiz, schwierige Aufträge zu lösen, hatten sie nicht.
Ich schwamm und tauchte mit den anderen Helfern und suchte zwischen den Wellen und in den Tiefen nach den Kindern, während andere sich auf den Inseln umschauten. Das aufgewühlte Wasser war trübe, und wir kamen nicht besonders gut voran. Und noch immer keine Spur von den Jungen, ob tot oder lebendig. Wenn Udiko hier wäre, hätten wir vielleicht eine Chance, dachte ich verzweifelt und wünschte, ich hätte mehr gelernt, schneller gelernt, wäre ein richtiger Sucher.
Inzwischen war der eisige Wind stärker geworden, und die Wellen wurden noch höher. Ich hatte schon gut zwanzig lange Tauchgänge hinter mir und ließ mich einen Moment lang treiben, um
Weitere Kostenlose Bücher