Der Sucher (German Edition)
sollte es aussehen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das hinkriege. Wenn Ihr ganz genau hinschaut, seht Ihr die Fußabdrücke.«
Mi‘raela zuckte mit den Ohren. Hatte sie richtig gehört, lachte die Regentin? Das war ein Geräusch, das sie noch nicht oft gehört hatte.
»Wie geht dein Unterricht mit Meister Indao voran?«, fragte Großfrau jetzt. »Gefällt dir die Geschichte Dareshs?«
»Wir nehmen gerade die 103. Regentin durch. Immerhin, die werde ich mir merken können, sie hat viel Gutes für Daresh bewirkt.«
»Da kann ich nicht mithalten, was?«
»Eigentlich nicht. Tut mir Leid.«
Ein Seufzer. »Mädchen, du bist ehrlicher, als gut für dich ist. Aber ich weiß schon, dass die Leute mich hassen. Weil die Abgaben erhöht worden sind und es so viele Fehden gegeben hat in den letzten Jahren. Das mit den Abgaben war übrigens die Idee meiner Berater.«
Mi‘raela spürte eine Bewegung in der Nähe und wandte den Kopf. O nein, es war Schrillstimme, die da heranschlich! Erschrocken kroch Mi‘raela ein Stück weiter zurück. Das Mädchen bemerkte sie nicht, es war zu gierig darauf, endlich das Ohr gegen die Tür zu pressen. So, so, auch Steinherz‘ Tochter wollte lauschen.
Einen Moment lang beobachtete Mi‘raela sie, dann hatte sie eine Idee. Sie huschte davon, in die Tiefen der Burg. Fast sofort fand sie den toten Wühler, den sie gestern in einem Seitentunnel gewittert hatte. Sie nahm ihn mit, schlich sich lautlos an Schrillstimme an und legte den Wühler direkt hinter sie.
Ein paar Atemzüge später kam ein Diener vorbei. Hastig wollte sich Schrillstimme davonmachen, bevor sie ertappt wurde – und trat in den halb verwesten Wühler. Ein Schrei hallte durch den Gang, und Mi‘raelas Schwanzspitze zuckte belustigt.
Die Tür flog auf. Nach einem Blick auf die Bescherung befahl die Regentin schroff, den Wühler zu entfernen. Schrillstimme nickte sie nur kurz zu, dann knallte die Tür wieder ins Schloss.
Als Jinis Unterricht beendet war, folgte Mi‘raela ihr unauffällig. »He, Nachtmädchen«, maunzte sie, als sie alleine waren.
Jini schrak zusammen. »Was, wer? Ach, du bist‘s, Staubflocke. Wer ist Nachtmädchen?«
»Du.«
»Oh. Ach so. Sag mal, kennst du einen Kerl namens Cyprio?«
»Mein Herr«, sagte Mi‘raela. »Spinnenfinger.« Sie war enttäuscht darüber, dass Jini sich nicht über ihren neuen Namen gefreut hatte. Dann hätte es ja auch einer der anderen getan, die sie in der engeren Auswahl hatte. Zum Beispiel Naschmaul !
»Er ist ständig um die Regentin herum. Ein schrecklicher Mensch – und er sagt ihr dauernd, was sie zu tun hat! Sie meckert zwar darüber, aber dann tut sie es meistens doch. Kann ihr nicht mal einer sagen, dass seine Ratschläge meistens richtig wurmstichig sind?«
»Das weiß sie selbst«, fauchte Mi‘raela missgelaunt und beschloss, Nachtmädchen weiterhin Jini zu nennen. Zurücknehmen konnte sie den anderen Namen nicht mehr, sie hatte ihn ja schon Cchrpoloc gegenüber erwähnt. »Aber wenn sie Spinnenfinger, Steinherz und die anderen los werden wollte, müsste sie ja selber denken. Das ist anstrengend.«
Jini war beleidigt. »Ich sehe schon, du hast heute schlechte Laune. Besser, wir treffen uns ein andermal. Bis dann!«
»Möge dein Herz nie verdorren«, antwortete Mi‘raela steif und machte sich auf den Weg zurück zu den wunderbaren Warmluftschächten.
Sie wollte nicht an Spinnenfinger denken, trotzdem pirschten sich ihre Gedanken an ihn heran. Zu Anfang, als sie gerade seine Dienerin geworden war, hatte sie sich von den Brüdern alle Geschichten über ihn erzählen lassen. Er war der Sohn eines hohen Beraters und einer Küchenmagd, und beide Eltern hassten ihn dafür, dass es ihn gab. Aufgewachsen war er in der Burg, zu einer Zeit, als die damalige Regentin aus Erde stammte und viele Menschen der Erd-Gilde um sich gehabt hatte. Spinnenfinger, der zu Luft gehörte, hatte früh lernen müssen, Geheimnisse zu bewahren, nichts von sich zu verraten, den anderen einen Schritt voraus zu sein. Er war ein verschlossenes Kind gewesen, das Spaß daran hatte, die Brüder zu quälen, weil sie nicht zurückbeißen konnten so wie die anderen jungen Dörflinge. Ein Kind, das an Türen lauschte, das nie jemand weinen sah und das immer wieder zurückkehrte, als sie versuchten, es wegzuschicken aus der Burg.
Seinen Namen hatte es schon früh bekommen, von einem Iltismenschen namens Cchr´eldor. Als Spinnenfinger durch einen Zufall erfahren hatte, wie er von nun an
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