Der Sucher (German Edition)
geholt hatte.
Vielleicht hätten wir den Eingang des Wohnraums blockieren, dem Mann den Weg verstellen sollen. Doch es war zu spät. Er witschte an uns vorbei nach drinnen und hatte prompt die Hände auf dem nächsten Gegenstand, einer hauchdünnen Schale aus Nerada, aus der Udiko mit einem Schmuggler Mitternachtstau getrunken hatte.
»Raus!«, sagte Udiko. »Sofort!«
Cyprio schaute auf. Einen Moment lang sah er verblüfft aus. »Meine Ohren täuschen sich wohl. Habt Ihr nicht gehört, was ...«
»Raus, sage ich!« Udiko zeigte zur Tür.
Zu meiner Überraschung warf der Mann ihm zwar einen bösen Blick zu, gehorchte aber. Udiko folgte ihm in den Vorraum – wohl um sicher zu sein, dass er wirklich ging – und blickte ihm hinterher. Dann setzte er sich mit einem Seufzen auf den Buntalgenteppich und machte uns einen Cayoral.
»Wir werden schrecklichen Ärger kriegen«, stöhnte ich. »Brackwasser, das war ein Gesandter der Regentin!«
»Und wenn schon«, brummte Udiko angewidert. »Seien wir einfach froh, dass wir ihn los sind.«
»Stimmt«, sagte ich, und wir redeten über andere Dinge. Aber ich dachte weiter über unseren Besucher nach. Hatte Janor ihn zu uns geschickt? Nein, entschied ich, sonst hätte der Mann nicht so verächtlich über ihn gesprochen. Und der Mann hatte sich nicht an mich gewandt, sondern an Udiko. Das passte nicht zu Janors Versprechen, nie zu vergessen, was ich für ihn getan hatte.
Vor dem Einschlafen, nachdem ich das Leuchttierchen in meinem Zimmer abgedeckt hatte, meinte ich noch einmal, diese Aura der Bösartigkeit zu spüren, und schauderte. Obwohl ich es nie zugegeben hätte, war ich froh, dass ich hier im vertrauten Xanthu-See in Sicherheit war. Dass dieser Cyprio es nie schaffen würde, sich der Kuppel unbemerkt zu nähern. Oder uns hier, in unserem Revier, ernsthaft zu schaden. Aber Gnade uns die sieben Götter der Tiefe, wenn wir jemals in seins kamen!
Ein neuer Name und eine Prüfung
Hin und wieder reiste Spinnenfinger durch Daresh, und wenn er weg war, wurde das Leben erträglicher. Einen kostbaren Morgen lang konnte Mi‘raela sich sogar nahe den Kaminschloten der Küche räkeln. Dort war es schön warm und roch immer gut.
Ihre Gedanken schweiften zu ihrer menschlichen Freundin und was sie wohl gerade machte. Seit einer Woche hatte Mi‘raela sie schon nicht mehr zu Gesicht bekommen. Vermutlich war Jini schwer beschäftigt.
Es war Sitte, dass jene Halbmenschen, die als erste mit einem bestimmten Menschen zu tun hatten, diesem einen Namen gaben. Unter diesem Namen würde er dann bei allen Halbmenschen bekannt sein, die Neuigkeit einer Benennung verbreitete sich schnell unter den Brüdern und Schwestern. Mi‘raela dachte schon seit einigen Sonnenumläufen darüber nach, wie sie Jini nennen wollte. Viele Möglichkeiten hatte sie schon verworfen. Aber eine gefiel ihr ganz gut: Nachtmädchen . Das passte – Jini schien nur selten zu schlafen, war nachts oft in der Burg unterwegs.
Mi‘raela freute sich schon darauf, es ihr mitzuteilen. Auf einmal konnte sie es kaum noch erwarten. Leichtfüßig machte sie sich auf den Weg zu den Räumen der Regentin, um Jini zu suchen. Auf dem Weg dorthin lief sie einem Iltismenschen über den Weg, dem als besonders bissig bekannten Cchrpoloc. Er zeigte höhnisch seine Eckzähne, als sie sich an ihm vorbeidrängte. »Na, wieder mal auf dem Weg zu deiner Menschenwelpin?«
Das ging ihn nichts an, und die anderen Brüder auch nicht. »Blödsinn«, log Mi‘raela. »Ich bin auf dem Weg zu Steinherz, er hat Befehle für mich.«
Doch schon nach einer Baumlänge tat ihr Leid, dass sie Jini verleugnet hatte. Sie kehrte um und verstellte Cchrpoloc den Weg. »Ja, ich bin auf dem Weg zu Nachtmädchen«, fauchte sie ihn an. »Haben die Caristani etwas dagegen?«
»Wirst du schon merken«, gab er zurück und tappte davon.
Mi‘raela hörte Jinis Stimme aus einem der Zimmer der Regentin dringen und zog sich in eine Nische zurück. Dort konnte sie lauschen und würde gleichzeitig nicht sofort gesehen, wenn jemand den Gang entlangkäme.
»Wie findet Ihr das hier?«, hörte sie Jinis Stimme. »Puh, ich wusste gar nicht, dass eine elegante Schrift im Leben so wichtig ist!«
Das keckernde Lachen der Regentin. »Das ist sie auch eigentlich nur in der Burg, wenn man viele Nachrichten verfassen muss. Nein, mach das noch mal, das sieht ja aus, als wäre ein Tausendfüßler über das Papier gelaufen!«
»Wirklich?« Jini kicherte. »Toll, genau so
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