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Der Sucher (German Edition)

Der Sucher (German Edition)

Titel: Der Sucher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Brandis
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wohnt schon lange hier in Tassos, was?«
    »Mein ganzes Leben. Schon meine Mutter ist hier geboren.«
    Natürlich. Das erklärte, warum sie so viele Feuer-Gebräuche übernommen hatte. Ich holte tief Luft. »Euer Großvater ist hierher verbannt worden, richtig?«
    Sie blickte mich von der Seite an. »So, so. Deswegen bist du also hier. Wegen dieser alten Geschichte. Hab‘s mir fast gedacht.«
    »Wieso?«
    »Ich habe in meinem Leben schon viele Sucher kennen gelernt, ich erkenne euch inzwischen auf zwanzig Schritte Entfernung. Du bist in diesem Winter der dritte, der nach der Schale fragt – in letzter Zeit scheint sich irgendetwas zu tun, so viele wie in den vergangenen Monaten waren es nie.«
    Hätte ich mir fast denken können. Wer die Spur aufnehmen wollte, musste hierher kommen. Und wenn die Schale wirklich so wichtig war, würde der Rat sich nicht darauf verlassen, dass gerade ein unerfahrener Junge wie ich sie fand. »Erzählt Ihr mir, was damals passiert ist?«, fragte ich, nachdem ich mich von der Überraschung erholt hatte.
    »Na gut, aber nur, weil ich dich irgendwie mag«, meinte Fyona Nell – und begann zu erzählen. »Mein Großvater Markart war ein junger Mann, als es geschah. Bei allem, was er angefangen hatte, hatte er versagt. Er lieh sich von seinen Freunden, von der Gilde, von flüchtigen Bekannten Geld und gab es nicht zurück.«
    »O je.«
    »Genau. Schließlich versuchte er es sogar beim Hohen Rat der Gilde. Er stellte sich als bedürftig vor und bat um Hilfe, um eine Schänke zu eröffnen. Die bekam er auch. Natürlich verjubelte er das Geld.« Sie seufzte. »Als er zum zweiten Mal vor den Rat trat, verweigerte der ihm die Unterstützung. Wahrscheinlich war Markart wütend darüber, oder vielleicht hat er auch nur geklaut wie ein Greifflossenfisch. Er nutzte bei seiner Audienz die Gelegenheit, diese Schale mitgehen zu lassen, und verkaufte sie, ohne je zu erfahren, was er da eigentlich gestohlen hatte.«
    Ich verzog das Gesicht. Es war bestimmt nicht sehr angenehm für Fyona, dauernd so eine Geschichte über ihren Großvater erzählen zu müssen.
    »Anscheinend war das Ding auch im Rat schon etwas in Vergessenheit geraten, denn es dauerte eine Weile, bis auffiel, dass es verschwunden war«, fuhr sie fort. »Da war es bereits zu spät. Anscheinend wurde die Schale in schneller Folge weiterverkauft, sodass nicht mehr herauszufinden war, wer sie gerade besaß. Seither ist sie verschollen.«
    Während ich zuhörte, hatte ich sogar meine schmerzenden Füße vergessen. Jetzt nahm ich mir Zeit, um über das, was ich gehört hatte, nachzudenken. Ein paar Dinge waren mir an dem, was Fyona erzählt hatte, aufgefallen. »Ihr habt gesagt ... ohne zu erfahren, was er da eigentlich gestohlen hatte . Was ist denn nun so besonders an der Schale?«
    »Das weiß ich auch nicht. Aber eins steht fest, es ist keine gewöhnliche Schale. Irgendetwas ist magisch an ihr. Das merkt man ziemlich schnell: Sie besteht zwar aus Silber, aber sie lässt sich nicht putzen oder reparieren. Als Markart sie klaute, war sie schwarz angelaufen. Er hat versucht, sie wenigstens zu polieren, um sie zu einem besseren Preis zu verkaufen. Vergeblich.«
    »Wahrscheinlich ist das Ding deshalb so oft verkauft worden«, überlegte ich laut.
    »Kann sein. Tja, das ist die ganze Geschichte, mehr ist nicht dran. Nur der Rat wird dir sagen können, warum die Schale so wichtig ist.«
    Ich merkte, dass sie wieder den Weg zum Zelt eingeschlagen hatte; bald war die Gelegenheit zum Reden vorbei. Wie gewohnt hatte ich beim Zuhören genau auf Fyonas Stimme geachtet und auf das, was darin mitklang. In der Dunkelheit war das besonders einfach. Diesmal sagte mir mein Instinkt: Nein, das war nicht die ganze Geschichte. Da war noch mehr. Etwas, das sie normalerweise nicht erzählte. Ein kleiner Teil der verborgenen Wahrheit.
    »Warum sollte niemand die Schale behalten wollen?«, hakte ich nach. »Auch angelaufenes Silber kann hübsch aussehen.«
    »Wenn du meine Meinung wissen willst, Junge – das verdammte Ding bringt Unglück«, erwiderte Fyona bitter.
    Ich horchte auf. »Wie kommt Ihr darauf?«
    Nur das Geräusch ihrer Schritte auf dem sandigen Wüstenboden. Das Schweigen, das sich zwischen uns schob, zog sich so lange hin, dass ich kaum noch mit einer Antwort rechnete. Aber dann bekam ich doch eine.
    »Einer der Sucher, die hier vorbeigekommen sind, ist länger geblieben als die anderen«, sagte Fyona. Auf einmal klang ihre Stimme rau und tief.

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