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Der Sucher (German Edition)

Der Sucher (German Edition)

Titel: Der Sucher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Brandis
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»Verdammt, wir können ihn nicht da drin lassen ...«, keuchte Joelle, und ich nickte.
    Ein zweiter Schrei erklang, diesmal der eines Fremden. Ich hörte den dumpfen Aufschlag eines Körpers auf den Bodensteinen des Tempels. Anscheinend hatte Merwyn sich freikämpfen können! Ja, da kam er schon aus dem Tempel. Er schoss an uns vorbei wie von einem Schwarm Jägerfische gehetzt. Joelle und ich rasten hinterher.
    So eigenartig es war – die Menschen aus dem Tempel verfolgten uns nicht. Vielleicht waren sie selbst zu Tode erschrocken darüber, dass sie ertappt und beobachtet worden waren. Ich hätte hundert zu eins gewettet, dass sie hochnervös damit beschäftigt waren, alle Spuren ihrer nächtlichen Aktivitäten zu verbergen. Hätte ja sein können, dass wir direkt zur Stadtwache rannten.
    Was wir natürlich nicht taten. Als wir hörten, dass niemand uns folgte, hielten wir nach ein paar Straßen an und kauerten uns keuchend in einen Hauseingang.
    »Tut mir Leid, Leute«, sagte Merwyn und hustete gleich noch mal. »Dieses Kräuterzeug ... schrecklich! Ich konnte nichts machen. Zarbas Rache, ich dachte, jetzt ist es um uns geschehen.«
    »Wie bist du freigekommen?«, fragte ich interessiert. »Hast du sie mit deiner Salisar-Klaue bekannt gemacht?«
    »Ach wo«, gab er zurück und grinste verlegen. »Ich habe dem Kerl, der mich gepackt hatte, meine Reisetasche über den Schädel gezogen.«
    Ich zog die Augenbrauen hoch. »Sag mal, Merwyn, was schleifst du eigentlich alles in dieser höllisch schweren Tasche herum?«
    Einen Moment sah es so aus, als wolle er »Was geht dich das an?« erwidern oder etwas in der Art. Doch dann verschwand das Misstrauen aus seinen Augen. »Einen Schatz habe ich da drinnen«, sagte er. »Ich wollte ihn nicht daheim lassen. Wenn ihr wollt, zeige ich ihn euch, sobald wir von diesem verfluchten Ort verschwunden und auf dem Weg in diese komische Stadt sind, deren Namen ich schon wieder vergessen habe.«
    »Ja, gerne«, sagte ich. »Und die Stadt heißt Kowanda.«
    Still und heimlich machten wir uns aus Nehiri davon. »Was meint ihr, was war das für eine komische Zeremonie?«, sprudelte ich heraus, sobald wir das Grasmeer erreicht hatten und vor fremden Ohren sicher waren.
    »Totenkult, schätze ich«, meinte Joelle. »Glaubt ihr, dass es diese Sache war, die der Händler mit gefährlich gemeint hat? Aber wieso eigentlich? Ich meine, da lagen doch nur zwei Leichen herum ...«
    »Hast du ihnen den Puls gefühlt? Vielleicht hat noch einer gelebt – oder beide«, wandte Merwyn ein. Aber auch er hatte keine Ahnung, wofür die Zeremonie gut gewesen sein und ob sie irgendetwas mit Ynea zu tun gehabt haben könnte. Dafür wussten wir zu wenig. Wir wussten nur, dass wir besser mit niemandem darüber sprachen, was wir gesehen hatten.
    Als wir uns zum Frühstück niedergelassen hatten, erinnerte ich Merwyn an sein Versprechen, uns seinen Schatz zu zeigen. Merwyn nickte und schnürte sein Reisebündel auf. Vorsichtig schüttete er etwa dreißig Steine aus einem weichen Lederbeutel auf den Boden. Gespannt beugten wir uns darüber.
    »Das sind ja gewöhnliche Kiesel«, stellte Joelle enttäuscht fest.
    »Warte«, sagte er, murmelte eine Formel und rief eine Hand voll Wasser, das er über die Kiesel schüttete. Und siehe da ... sie verwandelten sich in Edelsteine, die in überraschenden Farben oder Mustern glänzten.
    »Sie sind wunderbar«, meinte ich – und ich sagte es nicht aus Höflichkeit. Ich nahm einen grau-violett gemusterten Stein in die Hand und spürte seine vom Wasser glattpolierte Oberfläche. Er war ein Stück des Seenlands, und am liebsten hätte ich ihn gar nicht wieder losgelassen. So, so, Heimweh hast du also , zog ich mich selbst auf und konnte doch nicht darüber lächeln.
    Joelle drehte erst einen grünlichen Stein, dann einen ovalen, schwarz-weiß gefleckten und einen in Tränenform zwischen den Fingern. Verlegen nannte Merwyn ihre Namen. »Das ist der Algenbonbon, das Sandpiper-Ei, Gilias Träne ...«
    Fasziniert hörte Joelle zu. Am längsten hielt sie einen dunkel glänzenden Stein, der durch eine Laune des Zufalls herzförmig war.
    »Wenn du willst, schenke ich ihn dir«, sagte Merwyn, und plötzlich klang seine Stimme ganz ruhig. Joelle nickte und lächelte ihn an. Ich sagte nichts dazu. Schließlich war inzwischen klar, für wen von uns beiden sich Joelle entschieden hatte.
    Als das Wasser auf den Steinen langsam verdunstete, wich auch der Zauber. Merwyn räumte die Steine,

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