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Der Sucher (German Edition)

Der Sucher (German Edition)

Titel: Der Sucher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Brandis
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Spitze der Gruppe leise eine Formel murmelte. Zum Glück beachtete sie uns nicht, genauso wenig wie die anderen. Unbehelligt schritten wir durch das Tor. Na also!
    Im Inneren des Tempels war es kühl und hell, es roch nach Blüten und Gras. Wir setzten uns schnell von der Gruppe ab, bevor sie Verdacht schöpfen konnte, und gingen entlang der Außenmauer weiter. Dort gab es reichlich leere Räume, in denen nur große hellblaue Teppiche lagen und in deren Mitte jeweils ein Gebilde aus Federn hing. Ich erkannte es, so ein Ding hatte Udiko in seiner Sammlung. »Das ist ein Zilgaba, eine Art Orakel der Luft-Gilde«, flüsterte ich. »Die Art, wie es sich im Luftzug bewegt, zeigt die Zukunft an.«
    Wir versteckten uns in einem der Räume, durch dessen Tür wir über den Gang hinweg in den weiten, hellen Innenraum des Tempels spähen konnten. Er war nach oben hin offen, und das endlose, dunstige Blau des Sommerhimmels wölbte sich über uns.
    Im Inneren hatten sich bereits zwei Dutzend Menschen versammelt. Stumm blickten sie zu Boden, schienen zu warten. Neugierig spähte ich durch den Türspalt. Hier würde gleich ein Ritual stattfinden, soviel stand fest. Plötzlich stimmten die Menschen einen leisen Gesang an, der immer lauter wurde. Dann schritt ein in rauchblaue Gewänder gekleideter Priester durch die Menge, ging bis in die Mitte des Saales. Zwei Mädchen und ein Junge folgten ihm, hielten aufwändig geschnitzte Schalen bereit. Der Gesang wurde lauter, veränderte sich dann plötzlich, bis die Menschen im Chor eine Gildenformel sprachen.
    »Dem Nordwind sei Dank!«, rief der Priester, griff in eine der Schalen und warf eine Hand voll orangefarbener Blütenblätter in die Luft. Sie wurden hochgewirbelt, immer höher und höher, bis sie in die Unendlichkeit des Himmels davongetragen wurden.
    Wieder die Gildenformel, dann der Ruf »Dem Südwind sei Dank!« Diesmal waren es weiße Federn, die hochgeworfen wurden. Als nächstes dankte er dem Westwind, dem er Getreidekörner opferte, dann dem Ostwind, dem er immerhin noch eine Hand voll Erde schenkte.
    »Anscheinend ist das so eine Art tägliche Anbetung«, flüsterte Joelle, und wir nickten.
    Es wurde noch eine Weile gesungen, dann traten einige Menschen aus der Menge hervor und brachten ein Anliegen vor oder erzählten eine kurze Anekdote, in der Wind, Wolken, Vögel oder Storchenmenschen eine Rolle spielten.
    »Vielleicht kann Joelle bei der nächsten Anbetung in ihrer Verkleidung aufstehen und fragen, ob jemand etwas über die Fehde und das betreffende Dorf weiß?«, schlug Merwyn vor.
    »Hast du Lonnokraut gegessen?«, fuhr ich ihn an. »Wenn sie dabei merken, dass Joelle eine Fremde ist ... Die würden sie von einem Orkan zerreißen lassen oder so was ...«
    Joelle wirkte ein bisschen blass um die Nasenspitze. Sie legte mir zärtlich die Hand auf den Arm. »Schon in Ordnung, Tjeri. Ich fürchte, es ist das Einzige, das uns weiterbringt. Das heißt, ich werd‘s machen.«
    »Wahrscheinlich findet die nächste Anbetung erst morgen statt«, überlegte Merwyn. »Am besten bleiben wir einfach hier. Ist ja nicht gesagt, dass wir es noch mal schaffen, hier hereinzukommen.«
    Ich war wütend auf Joelle, auf Merwyn, weil er es vorgeschlagen hatte, und auf mich, weil mir kein besserer Plan einfiel. Mürrisch schweigend half ich den beiden, die Tür des Orakelraums mit einem Keil zu sichern, damit niemand uns hier überraschen konnte. Da es mindestens ein Dutzend dieser Räume gab, standen die Chancen gut, dass niemand ausgerechnet hier hereinwollte. Wir hatten genug Proviant und Wasser dabei, bis morgen konnten wir es an Ort und Stelle aushalten.
    Ständig hielt einer von uns Wache, während die anderen ruhten oder vorsichtige Erkundungsgänge in den Tempel unternahmen. Den ganzen Tag über kamen immer wieder Menschen der Luft-Gilde in den Tempel, tanzten in Gedanken versunken in komplizierten Mustern, streuten Blütenblätter auf den Boden und gingen dann wieder. Erst am Abend leerte sich der große Innenraum. Eines der Kinder fegte die Blütenblätter auf und stopfte sie in einen Sack, ein anderes glättete den Sandboden des großen Saals und ein drittes polierte die Ornamente an den Steinwänden. Nach Sonnenuntergang war es dunkel und still geworden im Tempel. Sogar die Priester – es gab drei, wie wir inzwischen herausgefunden hatten – schienen gegangen zu sein.
    Als ich mit Aufpassen dran war, gab mir Joelle einen Gutenachtkuss und rollte sich erschöpft zum Schlafen

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