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Der Südstern oder Das Land der Diamanten

Der Südstern oder Das Land der Diamanten

Titel: Der Südstern oder Das Land der Diamanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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angenommen. Ebenen mit gelblichem Sande, Dickichte mit Dornengebüsch, dann und wann ein von Sümpfen umgebener Bach traten jetzt an die Stelle der grünen Thäler des Banken-Veld. Manchmal mußte auch ein Umweg eingeschlagen werden, um einen wirklichen Wald von »
thorn trees
« oder Dornenbäumen zu umgehen. Es sind das nämlich Gesträuche von drei bis fünf Meter Höhe mit ungemein vielen wagrecht stehenden Aesten, welche zahlreiche zwei bis vier Zoll lange, harte, dolchähnlich spitze Dornen tragen.
    Diese äußere Zone des Bush-Veld, welche gewöhnlich mit dem Namen Lion-Veld oder Löwen-Veld bezeichnet wird, schien kaum ihrem schlimmen Namen noch zu entsprechen, denn auch nach drei-bis viertägiger Reise hatte sich noch keines dieser furchtbaren Raubthiere sehen lassen.
    »Das beruht ohne Zweifel nur auf Ueberlieferungen, sagte sich Cyprien, und die Löwen werden weiter nach der Wüste zurückgewichen sein!«
    Als er diesem Gedanken aber James Hilton gegenüber Worte verlieh, fing dieser geradewegs an zu lachen.
    »Sie meinen, daß es hier keine Löwen gäbe? sagte er; das kommt einfach daher, daß Sie dieselben nicht zu sehen verstehen!
    – Sehr schön, einen Löwen inmitten einer nackten Ebene nicht einmal zu sehen! erwiderte Cyprien in etwas ironischem Tone.
    – Nun, ich wette um zehn Pfund, erklärte James Hilton, daß ich Ihnen vor Ablauf einer Stunde noch einen zeige, den Sie nicht vorher gesehen hatten.
    – Ich wette aus Princip niemals, antwortete Cyprien, aber es würde mich sehr freuen, meine Erfahrungen zu erweitern.«
    Man zog noch fünfundzwanzig bis dreißig Minuten weiter, ohne daß Jemand an die Löwen gedacht hätte, als James Hilton plötzlich rief:
    »Meine Herren, betrachten Sie dort den Ameisenbau, der sich da unten zur Rechten erhebt.
    – Das ist ‘was Rechtes! meinte Friedel. Seit zwei bis drei Tagen sehen wir fast gar nichts Anderes!«
    Im Bush-Veld gibt es in der That kaum eine häufigere Erscheinung als diese großen Haufen von gelbem Lehm, welche von zahllosen Ameisen zusammengetragen sind und in größerer Entfernung abwechselnd mit einigem Buschwerk oder einer Gruppe magerer Mimosen die Einförmigkeit dieser weiten Ebenen unterbrechen.
    James Hilton lachte für sich.
    »Herr Méré, wenn Sie sich ein wenig in Galopp setzen wollen, um sich jenem Ameisenbau zu nähern – da, am Ende meines Fingers – so verspreche ich Ihnen, daß Sie, was Sie wünschten, zu sehen bekommen werden. Gehen Sie aber nicht zu nahe heran, denn die Sache könnte schlimm ablaufen.«
    Cyprien gab seinem Pferde beide Sporen und ritt schnell nach dem Hügel zu, den ihm James Hilton als einen Ameisenbau bezeichnet hatte.
    »Da nistet natürlich eine Löwenfamilie! sagte er, als Cyprien sich entfernt hatte. Ich setze gleich Eins gegen Zehn, daß jene gelben Haufen, die er für Ameisenbauten hält, nichts anderes sind.
    –
Per Bacco!
Da hätten Sie freilich keine Ursache gehabt, ihm jede Annäherung zu widerrathen!«
    Als er aber bemerkte, daß Bardik und Lî ihn hörten gab er seinen Worten eine andere Wendung.
    »Der Frenchman wird einen schönen Schreck haben und uns viel zu lachen geben.«
    Der Neapolitaner täuschte sich. Cyprien war nicht der Mann dazu, gleich »einen schönen Schreck zu haben«, wie er sagte. Zweihundert Schritt vor dem ihm gewiesenen Ziele erkannte er, um welch’ schreckliches Ameisennest es sich hier handelte. Dasselbe entpuppte sich nämlich als ein ungeheurer Löwe, eine Löwin und drei junge Löwen, welche im Kreise an der Erde lagen und friedlich in der Sonne schliefen.
    Bei den Hufschlägen Templars öffnete der Löwe die Augen, erhob den gewaltigen Kopf, gähnte, wobei er zwischen zwei Reihen ungeheurer Zähne einen Rachen zeigte, in dem ein zehnjähriges Kind hätte mit Haut und Haar verschwinden können. Dann starrte er den Reiter an, der bis auf zwanzig Schritte an ihn herangekommen war.
    Zum Glück mochte die Bestie keinen Hunger haben, sonst wäre sie nicht so gleichgiltig geblieben.
    Cyprien hielt schon die Hand am Carabiner und wartete zwei bis drei Minuten, was seine Majestät der Löwe zu thun beschließen würde. Da er sich aber überzeugte, daß dieser keine Lust zum Beginn von Feindseligkeiten zu haben schien, fühlte auch er sich nicht aufgelegt, das Glück dieser interessanten Familie zu stören, sondern warf sein Pferd herum und sprengte mit verhängtem Zügel wieder seinen Genossen entgegen.
    In gezwungener Anerkennung seiner Kaltblütigkeit und bewiesenen

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