Der Suender und die Lady
diesen verkommenen Ort, auf diese Bühne geraten? Er hatte von Sklaverei gehört, doch England hatte dem Import von Sklaven schon lange ein Ende gesetzt und warnte die englischen Reeder, dass es jetzt bei Todesstrafe ein Verbrechen sei, Sklaven als Fracht zu führen.
Er hatte erfahren, dass Sklavenhandel in einigen Teilen der Welt, in denen Gesetze entweder nicht griffen oder als unwichtig im Vergleich zu den zu erwartenden Profiten abgetan wurden, immer noch gängige Praxis war. Er hatte erfahren, dass der Sklavenhandel, der An- und Verkauf von Menschen, nicht nur in Afrika, wie er in seiner Naivität geglaubt hatte, sondern in jedem Land blühen konnte. Er hatte erfahren, dass weiße Sklaven nicht so geschätzt wurden wie schwarze Sklaven. Weiße arbeiteten nicht so schwer, sie starben früher, doch gab es einen speziellen Markt für Jungfrauen. Je heller die Haut, desto gefragter waren sie … Und eine Nachfrage bestand immer.
Das Schiff war repariert, und wenige Tage später reiste Puck weiter nach Jerusalem. Er sah die griechischen Inseln. Er besuchte die Länder der Antike, las die Heldengedichte im Schatten der Geschichte. Doch seine Erziehung wurde in einem nicht erinnerungswürdigen Hafen in einer nicht erinnerten Stadt abgeschlossen.
Im Lauf der Zeit hatte er die Bilder jenes Tages in einen stillen Winkel seines Bewusstseins verbannt. Er war fast noch ein Junge gewesen, und er hatte getan, was er konnte.
Jetzt war er ein Mann, und das Schicksal hatte Puck anscheinend dorthin befördert, wo es ihn brauchte, sowohl um Reginas Cousine und die anderen Frauen zu retten als auch dem tief vergrabenen Zorn und der Ohnmacht jenes Tages im Hafen zu begegnen. So war das Leben, wie er es sah, nun mal – oft bekam man eine zweite Chance. Und aus den Erfahrungen, die man macht, muss man lernen.
Puck hatte müßig den großen Globus im Arbeitszimmer gedreht, wohl wissend, dass die Hafenstadt, in die sein Schiff einzulaufen gezwungen war, auf diesem Globus genauso wenig verzeichnet sein würde wie auf irgendeiner Landkarte. Wie viele derartige Orte mochte es geben? Wie viele arme Seelen hatten dort auf ihrem Weg in die Hölle der Sklaverei und Erniedrigung Station gemacht? Wie lange noch würde Gewinnsucht über Moral triumphieren?
Dass diese Praxis offenbar immer noch, selbst hier in London, florierte, war nicht zu tolerieren. England durfte das nicht zulassen, nicht, wenn es dem Rest der Welt Predigten hielt. Erst recht nicht, wenn die Frauen des eigenen Landes verschleppt wurden. Jack hatte Puck unterrichtet, dass sein Befehl lautete, die illegalen Händler aufzuspüren und „unter allen Umständen“ zu eliminieren. Und ohne dass ein Wort von den Vorfällen zur Bevölkerung durchdrang. Die Krone sollte nicht in Verlegenheit gebracht werden.
Puck war es recht so. Er würde alle Informationen, die er bekam, an seinen Bruder weitergeben, alles in seiner Macht Stehende tun, um zur Beendigung dieses Menschenhandels beizutragen.
Aber erst wenn Reginas Cousine gerettet und in Sicherheit, ihr Leben wiederhergestellt, ihr Ruf unbeschädigt war. Erst wenn er persönlich die Verantwortlichen für dieses spezielle Verbrechen gestellt und erledigt hatte, was ihm vor so vielen Jahren nicht gelungen war. Das war der Sinn einer zweiten Chance. Doch seit Mirandas Verschwinden waren bereits mehr als zwei Nächte vergangen. Blieb ihm noch Zeit?
„Puck?“
Er schüttelte die Gedanken ab, wandte sich um und sah Regina an der Tür stehen, einen dunkelgrauen Umhang zusammengefaltet über den Arm gelegt. Sie hatte ihren Schmuck abgelegt, ihr Haar von den Nadeln befreit und im Nacken locker zusammengebunden. Ihr Kleid war schlicht geschnitten, schwarz und eindeutig nicht ihr eigenes.
Sie sah so schön aus, obwohl sie besorgt wirkte, und er spürte, wie er ihr erneut und auf völlig neuer Ebene verfiel. Sie war so mutig, selbst wenn sie unübersehbar Angst hatte. Er begehrte ihre Schönheit, ihren wohlgerundeten Körper, hatte beides von Anfang an begehrt. Jetzt liebte er ihren Geist und ihre entschlossene Furchtlosigkeit, ihre Bereitschaft, alles zu wagen, um ihre Cousine zu retten. Eine Frau wie sie war ihm noch nie begegnet, und er bezweifelte, dass er jemals wieder eine solche kennenlernen würde.
Puck verneigte sich in ihre Richtung. „Und mit wem habe ich das Vergnügen?“, fragte er, was ihr, wie er gehofft hatte, ein Lächeln entlockte. „Ah! Moment mal! Ja, dieses Lächeln erkenne ich. Sie ist es, Miss Hackett. Welch
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