Der suendige Engel
warteten nur darauf, daß sich jemand wie sie auf den Straßen zeigte.
Ihr Elternhaus!
Es war vielleicht ihre einzige Rettung. Fast sämtliche Häuser waren verbarrikadiert. Nicht, daß jemand ernsthaft glaubte, den Häschern des Vampirkönigs wirklichen Widerstand leisten zu können. Selbst wenn man einen von ihnen überwältigte, würden dreimal so viele zurückkommen. So war es mehr ein Ausdruck der Angst, daß eine ihrer Jungfrauen als Opfer auserkoren werden könnte.
Niemand würde Nizam helfen. Niemand würde sie vor den Häschern verstecken. Bis auf ihre Eltern.
Mit pochendem Herzen duckte sie sich in eine Türnische und ließ eine weitere Gruppe von Häschern vorbeilaufen. Sie hatten sie nicht bemerkt!
Nizam schlug den Weg zu ihrem Elternhaus ein. Wie sie ihren Ungehorsam bereute! Es war so töricht gewesen, anzunehmen, daß ausgerechnet sie sich über die Regeln hätte hinwegsetzen können. Sie verfluchte die Unvernunft ihrer Jugend und die Schwachheit ihres Fleisches.
Endlich erreichte sie ihr Elternhaus. Das Eingangstor war verschlossen. Sie pochte mit beiden Fäusten an die große Pforte. »Laßt mich herein! Schnell!«
In der Gasse hinter ihr tauchte eine weitere Gruppe von Königstreuen auf. Noch eine Spur verzweifelter setzte Nizam ihr Pochen fort.
»Bitte, macht auf!« flehte sie. »Macht doch auf! Ich bin es, Nizam!«
Die Häscher kamen langsam heran. Es war eine andere Gruppe als die, die sie zuerst verfolgt hatte. Drei hochgewachsene Vampire, in deren Gesichtern sich der gleiche maskenhaft starre Ausdruck befand wie bei allen übrigen Vasallen des Vampirherrschers.
Sie hatten keinen Grund zur Eile. Selbst wenn der Frau geöffnet würde - niemand konnte ihnen den Einlaß verwehren. Mit der Gewißheit ihrer Macht näherten sie sich Nizam.
Das Mädchen warf den Kopf herum. Instinktiv dachte sie daran, weiter fortzulaufen, aber ihr Verstand sagte ihr, daß es keinen Zweck haben würde. Die Häscher waren überall. Und sie würden sie überall aufspüren .
Da öffnete sich das Tor vor ihr. Arme zogen sie hinein in die schützende Dunkelheit des Hauses. Sie fiel fast ins Innere, während die Tür hinter ihr wieder zugeschlagen wurde. Sie war in Sicherheit!
Zumindest vorläufig.
Aber vor ihr standen nicht etwa ihre Eltern.
Es war eine Frau, die sie noch nie gesehen hatte, von solcher Schönheit, daß selbst Nizam dagegen wie ein häßliches Entlein wirkte. Das Gesicht der Unbekannten besaß engelsgleiche Züge. Ihr Körper unter dem schlichten Gewand verhieß perfekte Maße. Am auffälligsten aber waren ihre fast weißblonden Haare, die in dieser Gegend Asiens so selten waren wie Wassertropfen in der endlosen Wüste.
Nizam wußte, daß es Rassen gab, bei denen die Frauen nicht ausnahmslos dunkelhaarig waren, aber sie war noch nie einer blonden Frau leibhaftig begegnet. Noch dazu einer solch ätherischen Erscheinung.
Aber was noch entscheidender war als ihre optischen Vorzüge, das war die körperliche Präsenz der Frau. Eine fast mit den Händen greifbare Sinnlichkeit ging von ihr aus.
»Wer bist du?« fragte Nizam. »Wo sind meine Eltern?«
Die Frau legte den Finger an die Lippen und gebot ihr zu schweigen. Unwillkürlich gehorchte Nizam dem stummen Befehl.
Im nächsten Moment pochten draußen harte Fäuste gegen das Holz der Pforte.
»Macht auf! Im Namen des Nachgeborenen, öffnet das Tor, oder ihr seid verflucht!«
Nizam sah die fremde Frau angstvoll an. Hatte sie einen Plan, wie der Gefahr zu entgehen war?
Mit einem Wink bedeutete die Unbekannte ihr, sich in den hinte-ren Teil des Zimmers zurückzuziehen. Noch immer sprach sie kein Wort, was ihre geheimnisvolle Aura nur verstärkte.
Dann öffnete sie die Tür. Die Häscher des Königs polterten herein. Als sie der fremden Frau ansichtig wurden, stutzten sie.
»Wer seid Ihr?« fragte einer der Häscher. Automatisch redete er die Frau wie eine Höhergestellte an.
Die Frau verzog die Lippen zu einem Lächeln. »Nennt mich Salea.«
»Ihr seid fremd hier. Ihr kommt nicht aus Al'Thera und kennt womöglich unsere Gesetze nicht. Es ist besser, wenn Ihr jetzt zur Seite tretet.«
Salea blieb regungslos stehen.
»Laßt das Mädchen in Frieden«, sagte sie. »Sie ist noch zu jung und unreif, um zu erkennen, welche Ehre es für Sie wäre, als Opfer auserkoren zu werden.«
»Also kennt Ihr doch unsere Bräuche?« wunderte sich der Wortführer der Häscher.
»Eure Sitten sind mir wohlbekannt. Zu jedem hundertsten Mond sucht ihr nach
Weitere Kostenlose Bücher