Der sueße Kuss der Luege
Hause, aber sonst jetten sie durch die Welt. Mein Bruder und meine Schwägerin sind Banker und leben genau so, wie man sich das vorstellt.«
»Und wie stellt man sich das vor?« Da endlich, er legt seine Hand auf meine und streichelt sie ganz leicht und ich kann an nichts anderes mehr denken als an unsere Hände. Ich fange an zu schwitzen und versuche weiterzureden, aber mein Mund ist wie ausgedörrt und ich muss schlucken.
»Christian und seine Frau wohnen in einer megacoolen Dachterrassenwohnung in Frankfurt, mit einer Haushälterin, versteht sich. Sie sind so reich, dass sie nicht wissen, wo sie ihr Geld am besten vor der Steuer verstecken sollen. Mein Bruder besitzt Immobilien in New York und Amsterdam und Yukiko hat Wohnungen in Tokio und Hongkong.«
»Und wie passt die kleine Ida in so ein Leben?« Er geht jetzt so dicht neben mir, dass ich die Wärme seines Körpers durch meine Jeans fühlen kann. Wie unglaublich das ist, wir reden über andere, dabei passiert zwischen unseren Körper etwas so Intimes.
»Bestens! Yukiko ist eine tolle Mutter, die alles für Ida tut. Und Christian ist total vernarrt in seine Tochter. Aber trotzdem arbeiten sie beide, die brauchen dieses… ähh… Adrenalin.«
Adrenalin, das ist es, was da durch meinen Körper rauscht. Vielleicht sollten wir uns auf eine Bank setzen, dann könnte er den Arm um mich legen und mich küssen und…
»Und wer kümmert sich um Ida?«
»Wir alle. Wir sind ganz von ihr verzaubert. Nur Yukiko und Andrea, die Haushälterin, schaffen es, streng mit Ida zu sein. Manchmal ist Ida auch länger bei meinen Eltern in Fuerteventura oder bei Yukikos Eltern in Tokio. Aber später muss Ida bestimmt auf ein Elite-Internat. Das ist für Yukiko sehr wichtig.«
Vor uns taucht unten am Main der Flohmarkt auf. Die Uferpromenade ist schwarz von den Menschenmassen, wie meistens bei den ersten Flohmarktterminen im Frühling, wenn schönes Wetter ist. Später im Sommer ist nie so viel los.
Diego nimmt kurzerhand den Kinderwagen mit Ida hoch und trägt ihn die Treppen hinunter zum Mainufer, was Ida mit einem begeisterten Jauchzen quittiert.
Unten angekommen sind wir sofort umringt von Menschen. Ich gehe neben Ida in die Knie, weil ich nicht sicher bin, ob ihr die vielen Leute Angst machen, und wirklich scheint ihr das ein bisschen unheimlich zu sein. Sie streckt die Arme nach mir aus und will hochgenommen werden. Ich schnalle sie ab, lege Emil ins Netz, hebe sie hoch und Diego schiebt den Wagen durch das Gewühl. Auf meinem Arm fühlt sich Ida wohl und betrachtet all die Dinge, die die Standbesitzer an ihren Überdachungen angebracht haben. Mobiles, klingende Windspiele, Marionetten, Schals. Ständig will sie, dass wir stehen bleiben, damit sie etwas anfassen kann. Weil Ida so hübsch ist und so vorsichtig, freuen sich die Verkäufer, lächeln und winken ihr zu.
Diego bleibt in unserer Nähe und hält mir den Rücken frei, was angesichts des Gedränges sehr angenehm ist.
Heute sind sehr viele professionelle Händler und nur wenige Privatleute hier und gerade, als ich schon befürchte, dass ich kein einziges Schnäppchen ergattern werde, landen wir an dem Stand einer älteren Dame, die ganz offensichtlich seit mehr als einem halben Jahrhundert Stoffe in ihrer Wohnung gehortet haben muss. Ich bin völlig in meinem Element. Die Stoffballen riechen zwar ein bisschen modrig und die Farben sind etwas verblichen, aber dafür hat sie Ballen mit echter Seide und Leinen in schönen Farben und sogar alte Baumwollstoffe aus der Provence. Die muss ich einfach haben. Ich setze Ida zurück in ihren Wagen, um die Hände frei zu haben, aber sie fängt sofort an zu quengeln. Diego bietet an, sie auf den Arm zu nehmen.
»Es kann sein, dass sie das nicht möchte«, erkläre ich ihm. »Dann darfst du nicht beleidigt sein.« Ida kann sehr eigensinnig sein und macht sogar bei meiner Freundin Ellen immer Theater.
Diego zuckt mit den Schultern und nimmt Ida hoch. Die schaut von mir zu ihm, grinst und kommentiert das laut und deutlich mit »Schöner Papa!«, was Diego rot anlaufen lässt und mich zum Lachen bringt.
Die ältere Dame wackelt mit dem Kopf und murmelt etwas von dem Geschiss, das heute um die Gören gemacht wird, aber ich ignoriere ihr Gemecker, weil ich ihren Stoff kaufen möchte.
Ich wickele ein bisschen von den Ballen ab und sehe, dass der Stoff nach der ersten Lage in voller Farbenpracht leuchtet: Sonnenblumen auf lila Grund, blaues Paisley mit blau-weißen und roten
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