Der sueße Kuss der Luege
sammelst doch nicht etwa Puppen?«, fragt er.
»Blödsinn, ich bin doch nicht pervers! Nein, ich brauche sie als Geschenk, es muss eine alte Puppe sein, sie ist für die netteste alte Dame der Welt.« Jetzt lächelt er wieder, diesmal Ida an, aber der gefällt das offensichtlich auch nicht, denn sie dreht den Kopf weg.
»Ich dachte, deine Verwandten wären alle tot.« Diego sieht verwirrt aus.
»Sind sie auch. Elsa ist eine Nachbarin, die sich früher öfter mal um mich gekümmert hat. Sie ist eine liebe uralte Dame, die jetzt in einem Heim lebt. Ein bisschen verwirrt inzwischen, deswegen haben die Schwestern dort gesagt, eine alte Puppe aus ihrer Kindheit würde ihr Freude machen.«
Plötzlich schäme ich mich, dass ich so hässlich über ihn gedacht habe, denn nun sieht er verlegen aus, als ob es ihm ein bisschen peinlich wäre zuzugeben, dass er sich um diese Frau kümmert.
»Dann suchen wir doch zusammen«, schlage ich vor. »Wir könnten zu Andreas Stand gehen, das ist die Haushälterin meines Bruders. Die ersteigert oft alte Puppen bei Ebay, weil sie sich gut wiederverkaufen lassen.« Ich greife nach Emil, den Ida heute zum x-ten Mal hat herunterfallen lassen. »Es macht Spaß, wenn man zusammen auf der Jagd ist, anstatt ziellos hier herumzuschlendern.«
»Auf der Jagd«, wiederholt Patrik und schaut Diego irgendwie merkwürdig von der Seite an. »Das klingt gut.«
Diego nickt seinem Kollegen zu, aber er scheint nicht sehr davon begeistert zu sein, alte Puppen zu suchen, und ich ärgere mich, dass ich es vorgeschlagen habe. Dabei habe ich es nur wegen Patrick getan, schließlich ist er ja mit Diego befreundet.
Seufzend werfe ich den Rest Zuckerwatte in den nächsten Mülleimer, dann gehen wir zurück zu der alten Frau mit den Stoffballen, wo ich mich schweren Herzens für den Stoff mit dem blauen Paisleymuster entscheide, obwohl ich gern alle gehabt hätte. Ida packen wir wieder in den Wagen, sie wirkt nach der Zuckerorgie ein bisschen müde.
Weil Diego und Patrick merkwürdig schweigsam sind, versuche ich mit übertriebenem Engagement, eine Puppe zu finden. Aber ganz egal, was ich entdecke, Diego und Patrick scheinen gar nicht bei der Sache zu sein. Sie schauen sich keinen meiner Funde richtig an.
Als wir dann endlich bei Andrea landen, habe ich die Nase gestrichen voll. Trotzdem bleibe ich höflich und stelle die beiden Andrea vor und erkläre, was Patrick sucht. Andrea, die mich immer ein bisschen an eine dünnere und jüngere Version der Mutter Beimer aus der Lindenstraße erinnert, mustert uns. Dann bemerkt sie stirnrunzelnd, dass Ida müde im Wagen hängt und fragt, wieso ich sie nicht längst zum Mittagsschlaf hingelegt habe. Ich ärgere mich darüber, dass Andrea hier vor den beiden die Chefin raushängen lassen muss, und behaupte, wir wären schon auf dem Nachhauseweg. Andrea wird klar, dass ich sauer bin, und versucht, es wiedergutzumachen, indem sie Patrick ausfragt, was genau er denn sucht. Als Patrick ihr die Geschichte von der Frau im Altersheim erzählt, bietet Andrea ihm an, weiter für ihn die Augen offen zu halten. Gerade als sie ihn fragt, was er denn ausgeben möchte, werde ich stürmisch von hinten angefallen und drehe mich um. »Ellen!«
Meine Freundin, die ihre langen blonden Haare offen trägt und aussieht wie eine zarte Fee, die vom Himmel gefallen ist und sich darüber immer noch wundert, steht vor mir, begrüßt Andrea nur flüchtig und will dann wissen, wer die beiden coolen Typen sind, die mich begleiten. Sie ist von Diego begeistert, das merke ich sofort daran, wie sie ihre Haare nach hinten wirft. Mann, bin ich froh, dass sie gerade in Max verknallt ist, sonst könnte ich glatt eifersüchtig werden. Nicht, weil Ellen mir Diego ausspannen würde, nein, es bestünde einfach die Gefahr, dass er sich in sie verlieben könnte, so etwas passiert ihr andauernd.
Sie holt ein Handy aus den Tiefen ihrer gelben Beuteltasche, in der man leicht ein totes Kalb transportieren könnte.
»Darf ich ein Foto von euch allen machen? Max ist schon ganz neugierig auf Diego. Er wird sich schwarzärgern, wenn er hört, dass ich euch hier getroffen habe. Der Ärmste muss heute Mathe büffeln.«
Patrick und Diego schauen sich an und schütteln die Köpfe. Es sieht seltsam synchron aus.
»Nein, wir wollen auf kein Foto.«
»Ist doch nur für Max, damit er Diego mal sieht. Ich stell’s auch nicht bei Facebook ein, versprochen!«
Diego schüttelt den Kopf. »Nein, ehrlich, das gäbe Ärger
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