Der Sumpf: Psychothriller (German Edition)
betrachtete seine Hände. Weich, dachte er. Stubenhockerhände. Anders als die Hände seines Vaters. Er blickte auf seine wohlgenährte Taille. Himmel, dachte er, ich passe hierher.
Drinnen hängte er sein Schulterholster neben zwei Büchertaschen voller Kladden und loser Papiere an einen Haken. Dann zog er wie gewohnt den Revolver heraus und überprüfte ihn. Es war eine .357 Magnum mit kurzem Lauf und Wadcutter in der Trommel. Er hielt die Waffe in der flachen Hand und nahm sich vor, ein paar Termine auf dem Schießstand seiner Dienststelle zu buchen; seit Monaten hatte er nicht mehr geübt. Er zog eine Schublade auf, holte ein Abzugsschloss heraus und schob es über den Feuermechanismus. Dann verstaute er die Waffe und bückte sich nach seiner Reservepistole am Knöchelholster.
Aus der Küche kam ihm der Duft von gebratenem Speck entgegen, und an den dänischen Möbeln vorbei folgte er seiner Nase. Ein paar Sekunden lang blieb er im Türrahmen stehen und sah seinem Vater zu, der sich über den Herd beugte und Eier in eine Pfanne schlug.
»Hallo, alter Herr«, sagte er ruhig.
Sein Vater reagierte nicht, sondern fluchte nur, als ihm etwas Bratfett auf den Handrücken spritzte.
»Ich sagte, guten Morgen, alter Herr.«
Langsam drehte sein Vater sich um. »Hab dich gar nicht reinkommen hören«, sagte er lächelnd.
Tanny Brown begrüßte ihn mit einem Grinsen. Sein Vater hörte nicht mehr gut. Brown ging zu ihm hinüber und legte ihm den Arm um die breiten Schultern. Er spürte die Knochen des alten Mannes unter dem verblichenen Baumwollhemd. Als er den alten Mann an sich drückte, wurde ihm bewusst, wie dünn, wie zerbrechlich er geworden war. Der Gedanke, dass für diese Arme früher einmal fast nichts zu schwer gewesen war und inzwischen fast alles, war deprimierend: die ganze Kraft von Krankheit aufgezehrt. Da wird man als Kind Jahr für Jahr älter und wartet trotzig auf den Tag, an dem man stärker ist als der eigene Vater, doch dann ist der Tag da, und man ist nur beschämt.
»Du bist früh auf«, sagte der Sohn.
Sein Vater zuckte mit den Achseln. Brown wusste, dass er – wegen der Schmerzen und weil er sich nicht helfen ließ – kaum noch schlief.
»Was fällt dir überhaupt ein, mich ›alter Herr‹ zu nennen? So alt bin ich nun auch wieder nicht. Kann dich immer noch übers Knie legen, wenn es sein muss.«
»Ja, das könntest du«, antwortete Brown grinsend. Die Lüge machte ihnen beiden immer wieder Vergnügen.
»Wetten?«, beharrte sein Vater.
»Die Mädchen schon an Deck?«
»Nee. Allerdings scheint sich da oben was zu rühren. Vielleicht zieht ihnen ja der Speckgeruch in die Nase. Aber die beiden sind jung und verwöhnt. Wenn deine Mama noch am Leben wäre, würde die schon dafür sorgen, dass sie mit den Hühnern aufstehen. Da stünden die Mädel jetzt hier am Herd, um den Speck zu brutzeln. Und vielleicht Brötchen zu backen.«
Brown schüttelte den Kopf. »Und wenn ihre Mama noch am Leben wäre, würde sie ihnen sagen, sie bräuchten ihren Schönheitsschlaf. Die beiden würden den Schulbus verpassen und von ihr mit dem Auto kutschiert.«
Beide Männer lachten und gaben einander recht. Brown wusste, dass sein Vater sich nicht ernstlich beklagte; der alte Mann trug seine Enkeltöchter auf Händen.
Sein Vater drehte sich wieder zum Herd um. »Ich mach dir ein Rührei. Muss ’ne anstrengende Nacht gewesen sein.«
»Eine Frau hat ihren Ex erschossen, als er mit einer Knarre bei ihr auftauchte, Dad. Nichts Außergewöhnliches. Nur eine ziemlich traurige und blutige Angelegenheit.«
»Setz dich. Du musst völlig fertig sein. Wieso hast du keine geregelten Arbeitszeiten?«
»Der Tod kennt keine geregelten Arbeitszeiten, ich also auch nicht.«
»Und ist das deine Entschuldigung dafür, dass du am Sonntag nicht im Gottesdienst warst? Und den Sonntag davor nicht?«
»Also …«, fing er an.
»Deine Mama würde dir den Hintern versohlen. Was sag ich, in diesem Fall würde sie mir den Hintern versohlen, weil ich dir so was durchgehen lasse. Es ist nicht recht.«
»Ich weiß. Nächsten Sonntag bin ich da. Ich versuch’s.«
Sein Vater schlug das Ei in eine Schüssel. »Ich hasse all diesen neumodischen Kram. Wie diesen Elektroofen, diesen Atomkocher oder wie das Ding heißt.«
»Mikrowelle.«
»Egal, es funktioniert nicht.«
»Doch. Du weißt nur nicht, wie man es bedient. Das ist ein Unterschied.«
Sein Vater grinste. Er fühlte sich über den modernen technischen Fortschritt
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