Der Sumpf: Psychothriller (German Edition)
hatte. Und vier Tage, bevor Dawn Perry diese Welt verließ. In dem Eintrag war die Länge der Nachricht angegeben: nur wenige Zeilen. Eine Kurzmeldung, nicht mehr. Er rief die Seite auf.
Der Eintrag stammte aus einem kirchlichen Beiblatt, in dem die Predigten und Ansprachen im ganzen Dade County für den folgenden Tag angezeigt wurden. Etwa in der Mitte der Liste las er:
ANSPRACHE VON
EHEMALIGEM TODESKANDIDATEN
Robert Earl Ferguson spricht morgen, Sonntag, um 11:00 Uhr, in der New Hope Baptist Church darüber, wie er dank seines Glaubens die Prüfungen und Drangsal als Justizopfer im Todestrakt durchgestanden hat.
Die Kirche befand sich in Perrine.
16
Die junge Ermittlerin
D etective Andrea Shaeffer sah dem Morgen an ihrem Schreibtisch entgegen.
Sie hatte versucht zu schlafen, jedoch lange kein Auge zubekommen, bis sie schließlich in einen leichten, unruhigen Schlummer fiel. Sie war in aller Herrgottsfrühe aufgestanden, erleichtert, dass sie von dem Blut und den aufgeschlitzten Gurgeln nur geträumt hatte. Rasch hatte sie sich angezogen und war zum Morddezernat des Polizeireviers Key Largo gefahren. Ihr Büro lag im zweiten Stock, und von ihrem Platz aus konnte sie durch das Fenster den ersten zarten Lichtsaum am Rande der Nacht sehen. Sie stellte sich vor, wie sich im Lauf der nächsten Stunde draußen im Golfstrom das Dunkel verflüchtigte und der Morgen die Konturen auf dem bewegten Meer gestochen scharf in Szene setzte, um zuletzt mit einem einzigen tiefen Schnitt den Horizont vom Ozean zu lösen.
Sie wünschte sich, im Fischerboot ihres Stiefvaters im allerersten Morgengrauen dort draußen zu sein, in der Dünung die Füße zu beiden Seiten gegen das Dollbord zu stemmen, während sie mit glitschigen Händen die Leitschnüre fädelte und knotete. Wie es aussah, dämmerte ein prächtiger Tag zum Angeln herauf, mit großen Gewitterwolken weit draußen über dem Meer und – wenn die Hitze ihren Siedepunkt erreichte – schmalen Wasserhosen, die noch dunkler und bedrohlicher in den Himmel ragten. Doch die Fische spürten das Unwetter im Voraus, und sie würden hungrig an die Oberfläche tauchen. Du hältst dich immer dicht am Rand des Wirbels und die Köder in Bewegung. Schnelle Köder, für Königsmakrelen und Wahoos, besonders für Schwertfische. Etwas, das gegen die Wellen klatscht, die dunkle Golfströmung durchpflügt und für die großen Fische unwiderstehlich ist. Das hat mich am Angeln immer so gereizt, sinnierte sie: nicht der noch so spektakuläre Kampf mit dem Haken und der Schnur und ebenso wenig das panische Zappeln an Bord; schon gar nicht das Schulterklopfen und die bierselige Anerkennung. Ich war schon immer versessen auf die Jagd. Während sie zum Fenster hinausstarrte, ging sie im Geist durch, was sie wusste und was nicht. Als das Licht den Kampf endlich gewonnen hatte, löste sie sich von dem Schauspiel und senkte den Blick auf die Papiere, die über ihren Schreibtisch verstreut lagen.
Sie überflog ihren zusammenfassenden Bericht über die Befragung der Nachbarn am Tarpon Drive. Niemand hatte irgendetwas Bemerkenswertes gesehen oder gehört. Dann suchte sie den Bericht der Gerichtsmedizin heraus. Bei beiden Opfern war die unmittelbare Todesursache gleich: das rasche Durchtrennen der Halsschlagader und der daraus resultierende hohe Blutverlust. Er war Linkshänder, stellte sie fest. Stand hinter ihnen und führte die Klinge quer über die Kehle. Die Haut an den Schnitträndern war nur geringfügig zerfetzt. Ein Rasiermesser, vielleicht auch ein Jagdmesser aus Karbonstahl. Etwas richtig Scharfes jedenfalls. Keines der Opfer wies besonders auffällige postmortale Verletzungen auf. Er hat sie getötet und ist weg. Zu den prämortalen Verletzungen gehörten Prellungen rings um die Arme, was auf der Hand lag: Der Mörder hatte sie brutal gefesselt, die Stricke schnitten ihnen ins Fleisch. Außerdem waren sie mit Isolierband geknebelt. Das männliche Opfer hatte eine Prellung an der Stirn, eine aufgeplatzte Lippe und ein gebrochenes Rippenpaar. Die Knöchel an der rechten Hand waren aufgeschürft, Farbrückstände waren gefunden worden, und die Stuhlbeine hatten Schrammen auf dem Linoleum des Küchenbodens hinterlassen. Wenigstens hat er sich gewehrt, und wenn auch nur für einen Moment. Er war wohl als Zweiter dran, hatte die Handrücken gegen das Stuhlgestell gedrückt, um sich herauszuwinden, bis der Täter ihn mit aller Kraft quer über die Brust und gegen den Kopf schlug. Bei der Frau
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