Der Sumpf: Psychothriller (German Edition)
War er ein, zwei Tage weg? Ist Ihnen sonst irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen? Etwas, das aus dem Rahmen fiel?«
Die Frau dachte angestrengt nach. Shaeffer sah, wie sie den genannten Zeitraum Revue passieren ließ und alles, was sie am Fenster beobachtet hatte. Plötzlich kniff sie einen Moment die Augen zusammen, als erinnerte sie sich an etwas. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und ließ mit einer Hand die Gehhilfe los. Doch bevor sie etwas sagte, überlegte sie es sich offenbar anders und biss die Lippen zusammen. Die Frau betrachtete den Notizblock in der Hand der Polizistin, schließlich schüttelte sie den Kopf.
»Glaube nicht. Aber ich denk noch mal drüber nach. Muss erst genau überlegen, bevor ich mir absolut sicher sein kann. Wissen ja, wie das ist.«
Shaeffer sah, wie die Frau an ihrem Aluminiumgestell unruhig wurde. Sie erinnert sich an etwas, stellte sie fest. Will es mir nur nicht sagen. »Bestimmt?«
»Nein, wie gesagt«, bekräftigte die Frau vorsichtig. »Vielleicht fällt mir wieder was ein, wenn ich ’ne Weile drüber nachgedacht hab. Acht bis zehn Tage, ja?«
»Richtig.«
»Ich denk drüber nach.«
»In Ordnung, tun Sie das. Gibt es noch jemanden, der mir vielleicht weiterhelfen kann?«
»Nein, Ma’am. Der ist immer allein. Geht einfach am Nachmittag raus und kommt spät abends zurück. Manchmal auch früher. Manchmal ein bisschen später. Der Junge macht nie Lärm, macht keinen Ärger, ist einfach still. Hat nich mal ’ne Freundin. Wozu woll’n Sie das alles wissen? In was für Schwierigkeiten steckt der Junge drin, dass die Polizei hinter ihm her ist?«
»Wissen Sie, was er in den letzten Jahren gemacht hat? In Florida?«
Mr. Washington meldete sich zu Wort. »Wir haben gehört, dass er da ’ne Weile im Knast war, nur so viel.«
»Im Knast zu sitzen ist hier in der Gegend nix Besonderes, Ma’am. Fast jeder hat hier mal ’ne Weile gesessen«, warf die Frau ein. Sie sah ihren Mann an. »Und Gott weiß, die, wo noch nich gesessen haben, sind auch früher oder später dran. So ist das hier in der Gegend, oh ja.«
»Wie bezahlt er seine Miete?«, fragte Shaeffer.
»In bar. Am Ersten des Monats. Hat nie Probleme gegeben.«
Shaeffer machte sich einen Vermerk.
»Ist aber ja auch nich viel, wissen Sie. Is’ ja nix Besonderes hier, falls Sie es noch nicht mitbekommen haben.«
»Haben Sie ihn je mit einem Messer gesehen? Einem Jagdmesser zum Beispiel? Oder ist Ihnen vielleicht mal eins in seiner Wohnung aufgefallen?«
»Nein, Ma’am.«
»Eine Schusswaffe vielleicht?«
»Nein, nicht, dass ich wüsste. Aber wahrscheinlich haben hier in der Gegend die meisten irgendwo eine versteckt.«
»Und sonst irgendetwas, das Ihnen an ihm aufgefallen ist? Etwas Ungewöhnliches?«
»Na ja, für die Gegend hier is’ es ziemlich ungewöhnlich, sich mit all so ’ne Bücher zu beschäftigen.«
Shaeffer nickte. Sie reichte sowohl dem Mann als auch der Frau ihre Visitenkarte, auf dem die Marke des Polizeireviers von Monroe County eingeprägt war. »Wenn Ihnen noch irgendetwas einfällt, rufen Sie mich bitte an. R-Gespräch. In den nächsten Tagen bin ich unter dieser Nummer zu erreichen.« Sie notierte die Nummer der Telefonvermittlung des Motels in der Nähe des Flughafens, in dem sie ihr Gepäck deponiert hatte.
Während sie zur Tür ging, sahen sich die beiden höflich die Karte an. Im Flur sagte der ältere Polizist: »Irgendwas erfahren? Hat mich nicht vom Hocker gerissen. Abgesehen davon, dass das alte Mädchen vielleicht gelogen hat, als sie behauptete, sie könnte sich nicht dran erinnern, was vor einer Woche war.«
»Ihr ist mit absoluter Sicherheit was eingefallen«, sagte der Jüngere.
»Dann haben Sie es auch gesehen, ja?«
»War ja wohl kaum zu übersehen. Aber keine Ahnung, was das nun zu bedeuten hat. Wahrscheinlich nicht viel. Was meinen Sie, Detective?«
»Eins nach dem anderen«, erwiderte sie. »Jetzt schauen wir erst mal, ob unser Mann zu Hause ist.«
18
Das typische Täterprofil
S ie holte einmal tief Luft, um ihr pochendes Herz zu beruhigen, und klopfte an. Trotz eines kleinen Fensters am Ende des Flurs, das durch die dicke Schmutzschicht einen Schimmer Licht hereinließ, war es im Hausflur dunkel. Sie hatte keine Ahnung, was sie erwartete. Ein rehabilitierter Mörder, dachte sie. Was war er für ein Mensch? Ein Mann, der studiert, aber zuweilen seinen Koffer packt und für ein paar Tage verschwindet. Sie klopfte noch einmal, und im nächsten Moment
Weitere Kostenlose Bücher