Der Sumpf: Psychothriller (German Edition)
beschützen, verwandelte sich zu seinem Grauen ihr Gesicht, und er hörte sie rufen: »Daddy, rette mich!«
Er wachte auf und schnappte nach Luft. Er taumelte aus dem Bett, füllte ein Glas mit Wasser und starrte in den Badezimmerspiegel, als suchte er nach einer sichtbaren Wunde, wo er nur einen Schweißfilm sah, der ihm das Haar an den Schläfen verklebte. Dann kehrte er zurück und setzte sich ans Fenster, um sich zu erinnern.
Vor fünf, sechs Jahren hatte er die mörderische Raserei mit angesehen: Ein blutrünstiger Mob zog zwei halbwüchsige Jungen aus einem Transporter; die Jungen waren weiß, die Angreifer schwarz. Die Teenager hatten sich verirrt und waren in den Straßenkampf geraten. Bei dem Versuch zu fliehen gerieten sie nur noch tiefer ins Gedränge. Wenn es doch nur ein Traum gewesen wäre, dachte er. Wäre ich doch nur nicht da gewesen. Die Menge war wie eine Woge über die schreienden Jungen hereingebrochen, hatte sie geschubst und hin und her gezerrt, bis die beiden unter unablässigen Fußtritten und Fausthieben niedersanken und schließlich, von Steinen und Schüssen getroffen, reglos am Boden liegen blieben. Er war einen Block entfernt gewesen, zu weit, um für die Polizei ein nützlicher Augenzeuge zu sein, andererseits nah genug, um niemals zu vergessen, was er gesehen hatte. Er hatte sich im Schutz eines brennenden Gebäudes gemeinsam mit einem Fotografen versteckt, der unentwegt Bilder schoss und sich dafür verwünschte, kein Teleobjektiv dabeizuhaben. So hatten sie ausgeharrt, bis sich die Stelle lichtete und sie die beiden zermalmten Leichen auf der Straße liegen sahen. Kaum hatte der Mob eine andere Richtung eingeschlagen, war er zu seinem Wagen gerannt, um sich vor einem ähnlichen Schicksal zu retten, während er wusste, dass sich ihm dieser Anblick zeitlebens ins Gedächtnis einbrennen würde. In jener Nacht waren viele gestorben.
Er dachte daran, wie er später, so hilflos wie die beiden Jungen, deren Tod er mit angesehen hatte, in der Nachrichtenredaktion seinen Bericht geschrieben und die Szenen, die ihm gespenstisch vor Augen standen, zu Papier gebracht hatte.
Wenigstens bin ich dabei nicht draufgegangen.
Nur ein kleiner Teil von mir.
Den Schauder, der ihn einmal wieder erfasste, verwandelte er in ein Achselzucken, dann stand er auf und streckte die Glieder, um sich wiederzubeleben. Er musste hellwach sein, schärfte er sich ein. Heute würde er die beiden Polizisten interviewen. Auf ihre Antworten war er gespannt. Und darauf, ob er ihnen auch nur einen Bruchteil davon abkaufen würde.
Dann trat er in die Duschkabine, als könnte er unter dem stetigen, heißen Wasserstrahl auch die Erinnerungen abspülen.
4
Die Polizisten
I m Präsidium des Sheriffs von Escambia County, Abteilung Kapitaldelikte, deutete eine Sekretärin auf ein plumpes Kunstledersofa und forderte Cowart auf zu warten, während sie sich mit den beiden Detectives in Verbindung setzte. Sie war jung und wahrscheinlich hübsch, hätte sie das Gesicht nicht zu diesem mürrisch gelangweilten Ausdruck verzogen und den Eindruck durch die strenge Frisur sowie die steife Körperhaltung unter der blassbraunen Polizeiuniform noch verstärkt. Er bedankte sich und nahm Platz. Die Frau wählte eine Nummer und sprach leise, so dass er ihre Worte nicht verstehen konnte. »Es kommt gleich jemand«, sagte sie, nachdem sie aufgelegt hatte. Dann wandte sie sich ab und ignorierte ihn geflissentlich, um sich mit ganzer Aufmerksamkeit einem Stoß von Papieren auf ihrem Schreibtisch zu widmen. Offenbar weiß jeder, weshalb ich hier bin, stellte er lakonisch fest.
Die Mordkommission befand sich in einem neuen, modernen Gebäude, das ans Bezirksgefängnis grenzte. Dank eines dicken braunen Teppichbelags sowie schalldämpfender Trennwände zwischen den Schreibtischen der Detectives und dem Publikumsbereich, in dem Cowart wartete, herrschte eine gedämpfte Atmosphäre. Sosehr er auch versuchte, sich auf das bevorstehende Interview zu konzentrieren, er schweifte immer wieder ab.
Er dachte an sein Elternhaus. Sein Vater war Redaktionsleiter einer kleinen Tageszeitung in einer mittelgroßen Stadt in New England gewesen, einer Textilstadt, die dank einiger erfolgreicher Investitionen größerer Unternehmen sowie seiner malerischen Architektur nach und nach an Bedeutung gewonnen und frisches Blut angezogen hatte. Cowart senior war ein unnahbarer Mann, der vor Tagesanbruch zur Arbeit ging und im Dunkeln zurückkam. Der Sohn kannte ihn nur
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