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Der Symmetrielehrer

Der Symmetrielehrer

Titel: Der Symmetrielehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Bitow
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frisch!«
    Alles trank und aß nach Herzenslust, es war ein durchschlagender Erfolg!
     
    Also, was ist eigentlich ein vollendetes Werk? – die Frage, die das Kollektivbewusstsein unseres Klubs so hartnäckig beschäftigt hatte. Ein Werk ist das, was nicht war und jetzt ist . (Ob geschrieben oder ungeschrieben …) Jedenfalls ist . Die erste Darbietung! (Als musikalischer Begriff.) Eine andere Definition gibt es nicht! Der Dieb wird immer der zweite sein, der Bestohlene der erste. Und der nicht erwischte Dieb wird das, als der Verlierer, dem Bestohlenen niemals verzeihen: Leere, Schwermut … erwischt mich doch! Nicht mal versuchen werden wir es … Du hast verloren, Murito!
    Jetzt sind wir erneut alle beisammen, mit Ausnahme von dir. Wir sitzen im gemütlichen Foyer des Hotels »Beim Tantchen«, unter den Porträts von Sterne und Rossini und den herzlichen Blicken der Wirtin.
    Gerda schenkt uns bald Sherry, bald Portwein nach, während sie William gut zuredet, seinen ungeschriebenen Roman »Hamlets Erbe« (bevor Murito ihm ein Ende macht) zu einem neuen Opernlibretto für Violo umzuarbeiten.
    William hält ihr verdutzt sein leeres Glas hin: Wovon sie da rede?
    Wir diskutieren über nichts mehr.
    Wir sind endlich frei, nicht zu schreiben.
    Ich habe schon geschrieben.
    Die Schlacht am Alphabetos
    (King of Britannica)
    Aus dem Buch »Das Papierschwert«
von Urbino Vanoski
     
    Die Zeit ist ja kein Fluss – ein Klumpen.
    S. S.
     
    B artholomäus war König. Nicht irgendein Sechster oder Dritter, nicht mal ein Erster. Sondern der Einzige. Seine Macht erstreckte sich. Für jeden anderen König aus jeder beliebigen Epoche wären nur schwer ihre Grenzen auszumachen gewesen. Zugegeben, einfach mal irgendwem den Kopf abhacken oder die Hälfte eines ruinierten Reiches schenken hätte Bartholomäus nicht so leicht gekonnt, dafür war er zu Größerem fähig: zur Vertreibung. Und nicht bloß schlicht zur Vertreibung (Vertreibung aus dem Raum wie auch Abbruch der persönlichen Zeit mittels Abtrennung des Kopfes vom Rumpf konsolidiert ja nur die historische Persönlichkeit), sondern zur endgültigen Vertreibung – aus der Zeit, aus dem menschlichen Gedächtnis.
    Sein Königreich war nicht größer oder kleiner als sonstige Staaten, denn er herrschte über die ganze Welt. Und in gewissem Maße sogar über das Weltall. Nicht in seiner Macht stand natürlich, die Sonne zu löschen oder den Mond vom Himmel zu holen, aber irgendein nicht prominentes Sternlein vom Himmelsgewölbe entfernen, das konnte er; auch konnte er es veranlassen, den Menschen ein bisschen heller zu leuchten. Seine Untertanen davon überzeugen, dass es, sagen wir, den Elefanten nicht gibt oder den Löwen, konnte er nicht (sitzt doch
nichts fester im menschlichen Bewusstsein als die Fabel), aber eine ganze Tier- oder Pflanzenart aus dem nichtfabulösen Bewusstsein tilgen konnte er durchaus, und oftmals gelang ihm das auch. Seine Macht war grenzenlos, wenn auch begrenzt. Allerdings ist ja nie eine Macht, außer der des Schöpfers, je grenzenlos gewesen, und jede andere ist so oder so begrenzt. Und beim Schöpfer ist das keine Macht mehr: Macht, die sich selbst gleich ist, was ist das für eine Macht? Das ist Identität. Als grenzenlose Macht erscheint uns stets die Grenzenlosigkeit der eigenen Abhängigkeit – unsere Machtlosigkeit. Für Bartholomäus war solche Macht gerade nicht von Interesse. Vielleicht deshalb, weil er solche Macht gar nicht hatte. Da ist die Grenze schwer zu ziehen: nicht hatte oder nicht brauchte? Brauchen wir eine geringere Macht, wenn wir über eine größere verfügen? Schenkt man der verbreiteten Überzeugung Glauben (der wir im Unterschied zu Bartholomäus nicht in solchem Maße Glauben schenken), dass Macht eine der größten Leidenschaften der Menschheit ist, die (im Falle ihres Vorhandenseins) die übrigen menschlichen Leidenschaften übertrumpft (unserer Ansicht nach nur kraft deren leichter zu erlangender Befriedigung), geht man von einer derartigen Überzeugung als Axiom aus, so opfern wir die geringere Macht natürlich leicht zugunsten der größeren und die größere Macht zugunsten der grenzenlosen. Hatte nicht Alexander der Große sein kleines Mazedonien vergessen, als er bis Indien gekommen war?
    Apropos Alexander … Mit ihm hatte Bartholomäus noch eine Rechnung zu begleichen, obwohl er Alexander eigentlich Sympathie entgegenbrachte, sogar Wohlwollen. Ihm jedenfalls viel mehr als Napoleon. Bonaparte war er, offen

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