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Der Symmetrielehrer

Der Symmetrielehrer

Titel: Der Symmetrielehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Bitow
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gesagt, nicht sonderlich zugetan. Und nicht nur, weil dieser die Karriere des glänzenden uralten Geschlechts von Bartholomäus' künftiger Ehefrau, der Herzöge de Eau de Chat de la Croix, unterbunden hatte – das wusste Bartholomäus nun doch leicht auszugleichen, nicht nur mittels seiner Heirat, sondern auch indem er der Geschichte des Geschlechts einige leuchtende Episoden einfügte (zum Beispiel die Beteiligung an dem Versuch,
den Pechvogel Karl I. zu retten) – Napoleon jedenfalls war er vor allem wegen seiner von sämtlichen historischen Figuren wohl größten Unbotmäßigkeit nicht zugetan, wegen seiner übermäßigen Selbständigkeit (was in einem bestimmten Sinne ein und dasselbe ist), wegen seiner Unabhängigkeit (was wohl nicht mehr ein und dasselbe ist) von der eigenen, Bartholomäus', Macht. Keine einzige Macht konnte seiner Herr werden, bis zum heutigen Tag!! Sowas aber auch, ihn derart zu fürchten – dass sie ihn wie Robinson auf einem Inselchen mitten im Atlantik aussetzten, dass die Bonapartisten jahrelang mit den Antibonapartisten über seine Umbettung stritten, dass sie ihn bei der Umbettung in fünf Särge einschlossen wie eine russische Puppe in der Puppe, und obendrauf wurde auch noch ein russischer Stein gesetzt … auf dass er, Gott behüte, bloß nicht wieder auflebe, nicht herausspringe wie der Teufel aus der Kiste! Und bis heute verneigt man sich unwillkürlich, wenn man seine Grabkammer betritt, eine glänzende Idee des Architekten, den Eingang Napoleons Größe anzupassen (ohne Zweispitz). Bartholomäus hätte natürlich die eine oder andere seiner unbedeutenderen Schlachten streichen, hätte ein bisschen herumschnippeln können an der Historie, wegnehmen und dazutun, doch überhaupt nichts ausrichten konnte er gegen den Mythos (etwas nicht weniger fest Gegründetes als die Fabel): Nach wie vor stand Napoleon auf der Brücke von Arcole, und seine Fahne flatterte.
    Alexander den Großen (den sympathischen, gutaussehenden) hatte Bartholomäus zwar einst zurechtgestutzt und in die Schranken verwiesen, indem er ihm eine seiner Schlachten zugunsten von Darius abspenstig machte, doch bei Napoleon wollte ihm das einfach nicht gelingen, selbst wenn er ihm in ein paar ähnlichen Schlachten den Sieg entrissen hätte. Mit Abukir, Trafalgar und Borodino gab sich Bartholomäus nicht zufrieden … oder mit den beiden Kyklopen Nelson und Kutusow … Sogar Nelson war ja weniger berühmt. Und wer hatte die allergrößte Niederlage in der Geschichte erlitten, nachdem er ganz Europa erobert und zum Ersatz nur das Inselchen St. Helena bekommen hatte? und ist trotzdem allen als
Sieger im Gedächtnis geblieben! Kein anderer als dieser aufgeblasene Dreikäsehoch. Sein Zweispitz ist bis heute majestätischer als jede Krone! Napoleons Ruhm war größer, als er selbst es war – ein Phänomen! Wegen seiner hundert Tage? Nein, nicht nur. Die »Hundert Tage« waren Bartholomäus sogar sympathisch. Nein, nicht wegen Waterloo, nicht weil der Usurpator endgültig verlor, dank Bartholomäus' Landsmann Lord Wellington – wer entsinnt sich heute noch, dass es ihn gegeben hat? Doch Napoleons entsinnen sich alle. »Großes wird aus der Entfernung sichtbar«, seufzte Bartholomäus. »Ein Jahrhundert, ist das vielleicht eine Entfernung?« Das neunzehnte Jahrhundert belagerte noch ringsherum das zwanzigste, sogar der Erste Weltkrieg hatte es noch nicht weit weggerückt … O diese zahllosen Betten, in denen Napoleon gerade mal eine Nacht verbracht hatte! Sie vermehrten sich wie Amöben durch schlichte Teilung, einträglich für Kneipen und Gasthöfe in der Provinz.
    Trotz seiner grenzenlosen Macht war Bartholomäus ein Mann von großer Lebensklugheit; die Vergeblichkeit dieser seiner Bemühungen bewies ihm vor allem eins: dass sie vergeblich waren. Und Vergebliches war ebenso wie alles Vergängliche unter der Würde eines Herrschers von Bartholomäus' Rang. Ist schon wahr, es wäre albern, größere Macht zugunsten kleinerer zu opfern. Gegen Napoleon anzukämpfen war für Bartholomäus das gleiche wie für Napoleon, über das Inselchen St. Helena zu herrschen. Bartholomäus musste rechtzeitig grinsen und zuckte die Schultern: Nein, auch hinter Bonapartes Macht stand die seinige nicht zurück! War es etwa in Napoleons Macht gewesen, auch nur ein Käferchen zu erschaffen, auch nur irgendein Gräschen? Indes waren das für Bartholomäus erreichbare und längst durchlaufene Stadien seiner Macht. Hatte er doch ein

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