Der Symmetrielehrer
bezauberndes Pflänzchen aus der Familie der Schirmblütler gezüchtet, hatte er doch in Patagonien das winzige Falterchen Bartholomäus Waterlous angesiedelt, das nicht nur der Wissenschaft unbekannt war, sondern auch dem Schöpfer. Er hatte das nur einmal getan, an dem Tag, da die Nacht die längste des Jahres ist, am Geburtstag des Usurpa
tors. Wer wollte behaupten, Bartholomäus habe je seine Macht missbraucht? Er stellte sich nicht mit dem Schöpfer auf eine Stufe, aber dass einiges in seiner Macht stand, was sonst allein Ihm möglich war, ist eine unbestreitbare Tatsache.
So dass nach dem Schöpfer seine Macht die nächste war. Und insofern das beim Schöpfer keine Macht ist, sondern ER selbst, kann man davon ausgehen, dass Bartholomäus zeit seiner Herrschaft über eine Macht verfügte, wie die Menschheit sie während ihrer gesamten Geschichte nicht gekannt hatte.
Seine Macht war für seine Untertanen keine Last, denn sie war absolut. Man nahm sie nicht wahr, wie die Luft, wie das Wasser. Sie konnte bei niemandem Zweifel oder Argwohn erregen, weil niemand sie je als Zwang empfunden hätte, derart groß war sie (wir erörtern ja auch nicht die Macht der Schwerkraft, da sie leichter gar nicht sein kann, sie ist, wie sie ist). Die Zeit war Bartholomäus untertan. Er herrschte über den Ruhm der Welt, war dessen einziger Erbe, dessen letzte Instanz. Er war von allem die Quintessenz. Immer stand er am Ende einer ganzen Reihe von Herrscherchen und Kaiserchen und Imperatoren, von unseren Tagen bis hinauf zu den Sumerern. Und nicht nur, weil ein lebendiger Hund mehr wert ist als ein verreckter Löwe, sondern weil der letzte nun mal der Einzige ist. Die Vorgänger – wie Sand am Meer. Bartholomäus führte die ganze Welt hinter sich her an diesem Fädchen, und sie folgte ihm gehorsam, als ginge sie von allein in diese Richtung.
Bartholomäus erwachte von einem merkwürdigen Klopfen. Sowohl das Klopfen war merkwürdig und sein Ursprung auch. Draußen war es noch dunkel. ›Kein Wunder‹, überlegte der verschlafene Bartholomäus, ›heute ist die längste Nacht des Jahres. Doch wieviel Uhr ist es?‹ Er knipste das Nachtlämpchen an und rutschte zum Wecker auf dem Nachttisch. Der Wecker stand auf drei Uhr und tickte nicht. Seit langem hatte er Gehstörungen; der Größenwahn des königlichen Weckers ging so weit, dass er die Zeit nur anzeigte, wenn seine Achse strikt parallel zur Erdachse ausgerichtet war, die ja bekanntlich ein wenig geneigt ist in Bezug auf die Umlaufbahn. Vor dem Einschlafen suchte Bartholomäus jeweils lange dem stol
zen Apparat diese astronomische Präzision zu verschaffen. Jetzt mochte das Gerät in keiner Position mehr aufleben, es war anscheinend endgültig tot, hatte die derart lange Nacht nicht überlebt. Das Klopfen wiederholte sich, und Bartholomäus, nun ganz wach, konnte seinen Ursprung feststellen.
Da klopfte die verwitwete Königinmutter mit ihrem Zepter gegen die Bettpfanne.
Über all seiner Macht vergaß Bartholomäus niemals seine Sohnespflicht, ist sie doch die allerköniglichste Pflicht vor den Untertanen, seinen Kindern: Wie kann jemand Vater sein, wenn er seine Sohnespflicht nicht heilighält? Bartholomäus ließ die Füße zu Boden gleiten und ertastete gleich den einen Pantoffel, der andere war nicht da. Er suchte umher – nichts. Ihm fiel ein, was für ein Tag heute war. Heute war ein sehr wichtiger Tag, vielleicht der wichtigste des Jahres und, wer weiß, womöglich auch des ganzen Lebens. Zumindest – bereiten wir uns nicht das ganze Jahr auf den morgigen Tag vor, sammeln wir nicht unsere Kräfte, geizen jede Sekunde damit, und insofern wir uns ja auch auf das Jahr vorbereiten, da wir bis dato unser ganzes bisheriges Leben durchlebt haben, könnte man sagen, dass wir uns auch das ganze Leben auf den Tag vorbereiten, den wir gestern »morgen« nannten. Ist nicht heute – von allem die Quintessenz? Heute stand es in Bartholomäus' Macht, irgendein kleineres Reich zu vernichten oder ein Meer trockenzulegen oder einen Helden zu entthronen, denn heute vollendete sich mit dem Jahr auch das Allgemeinbild der Welt, wie es nun bleiben sollte in künftigen Jahrhunderten … und gerade heute hatte er nicht vor, sich an seiner Macht auf derartige Weise zu delektieren, denn gerade heute war der Moment gekommen, eine bestimmte persönliche Rechnung zu begleichen, die ihn im Verlauf seiner jüngsten Lebenszeit belastet hatte, eine Rechnung mit einer Figur, die
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